Colorado Saga
Jacques aus einer Schnittwunde an der rechten Wange blutete, wo ihn ein für seine Mutter gedachter Messerstich getroffen hatte. Zehn Zentimeter tiefer, und seine Kehle wäre durchschnitten worden.
Der Junge gab keinen Laut von sich. Als er seine Verletzung berührte, sah er das Blut und preßte die Finger auf die Wunde, um es zum Stehen zu bringen. Seine Blicke irrten von einer Seite zur anderen, die Einzelheiten der Szene unauslöschlich in sein empörtes Gedächtnis prägend: die Lichter außerhalb des Raumes, die herumrennenden Soldaten, den Schnitt auf der Brust seines Vaters, vor allem aber die
Todesangst seiner Mutter. Er war sieben Jahre alt, aber er würde dies alles niemals vergessen.
Am nächsten Morgen erschien der Agent in Pasquinels Unterkunft und gab ihm den Rat: »Sie sollten
möglichst schnell nach Norden aufbrechen.«
»Aber die anderen haben angefangen«, erwiderte Pasquinel.
»Davon bin ich überzeugt«, sagte Major Sibley. »Aber es ist ein zu großes Risiko Sie länger hierzubehalten, meine ich.«
McKeag für seine Hilfe bei diesem Kampf zu danken, hielt Pasquinel nicht für notwendig. Beiden Männern war es eine Selbstverständlichkeit, dem Freund und Partner zu Hilfe zu kommen, und dieses stillschweigende Übereinkommen brauchte nicht immer wieder erneuert zu werden. Bekümmert war McKeag, als Pasquinel beiläufig zu ihm sagte: »Fahr du mit Tönerner Schale und den Kindern zu den Buttes zurück. Ich werde die Felle nach Saint Louis bringen.« McKeag gab ihm zu bedenken, daß dies nicht der richtige Zeitpunkt sei, seine Indianerfamilie zu verlassen, da die drei ja bereits durch die Vorfälle im Fort aus dem Gleichgewicht gebracht worden seien, Pasquinel aber schob jeden Einwand kurzweg beiseite. »Ich möchte Lise und meinen Sohn sehen.« In diesem Sommer dann, nach mehrjähriger Abwesenheit, zeugte er seine Tochter Lisette.
Während Pasquinel in Saint Louis fröhliche Stunden verlebte, paddelte McKeag also mit Pasquinels zweiter Familie in einem von Hader belasteten Kanu westwärts. Tönerne Schale genoß dieses Zusammensein mit McKeag und begann diesen stillen, ruhigen Mann wieder zu lieben. Er aber hatte Angst vor ihr, die als Ehefrau seines Partners endgültig tabu für ihn war. Der kleine Jacques benahm sich widerwärtig, weil er jeden Augenblick dieser Fahrt ohne seinen Vater haßte. Er spürte die Spannung, die zwischen seiner Mutter und McKeag herrschte, und argwöhnte, daß zwischen McKeag und seinem Vater etwas nicht stimmte. Er fühlte sich verloren in einer Welt der Unsicherheit und des Hasses und versuchte, seine Wut an seinem kleinen Bruder auszulassen. Doch der pausbäckige Marcel lachte nur über seine Quälereien.
Als die kleine Gruppe auf der Heimreise das Pawnee-Dorf verließ, war zwischen McKeag und Jacques eine Art Waffenstillstand geschlossen worden, und so hätten die Reisenden den Beaver Creek vermutlich ohne Zwischenfall erreicht, wäre nicht eine Schar Kiowa aus einem abgelegenen Gebiet im Süden, wo es noch nicht viele Schußwaffen gab, heraufgekommen, um bei den Pawnee Gewehre einzutauschen. Im Dorf befand sich zum selben Zeitpunkt der Agent einer englischen Pelzfirma, der in den Kiowa sogleich ein Werkzeug sah, mit Hilfe dessen er sich von einer drückenden Konkurrenz befreien konnte. Also bot er den Kriegern zwei ziemlich abgenutzte Gewehre sowie eine Flasche billigen Whisky an, wenn sie dafür McKeags wehrlose Gruppe verfolgen und aus dem Weg schaffen würden. Die Kiowa, die wieder eine Chance witterten, zwei Kinder für ihr Dorf zu entführen, machten sich sofort auf den Weg.
An einer seichten Stelle des Flusses holten sie das Kanu ein. McKeag und Tönerne Schale hatten bereits Schwierigkeiten, weil das Wasser schon zu seicht zum Paddeln war, und ahnten Schlimmes, als sie die Fremden herankommen sahen. McKeag holte vorsichtshalber sein Arsenal heraus, ordnete seine Waffen, wie er es von Pasquinel gelernt hatte, zog das Kanu an eine Uferböschung und erklärte Tönerne Schale noch einmal, wie man die beiden Gewehre lud. Die Kiowa hielten in einiger Entfernung an und schickten einen Pfeilhagel herüber, der aber keinerlei Schaden anrichtete. McKeag wartete ab, bis sie näher heran waren, und sah, daß es sich um sechs Krieger handelte. Sein erster Schuß würde entscheidend sein.
Sorgfältig zielend, hielt er den Atem an, während die Indianer näher kamen, und drückte ab. Blutüberströmt brach der Anführer tot zusammen. Als sich die anderen
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