Colorado Saga
Vermutungen, die sie und Laura Lou in ihren nächtlichen Diskussionen angestellt hatten, erwies sich als richtig. Am nächsten Morgen rief Levi: »Elly, ich bin wirklich am Verhungern. Mach uns das Eingepökelte.« Und er aß die eineinhalb Pfund völlig auf.
Die Landstraße, auf der sie von York nach Gettysburg fuhren, war eine der belebtesten und zugleich bequemsten im ganzen Land. Zwölf Meter breit, die Mitte mit solidem »Macadam«-Belag, wie man die jüngste Errungenschaft aus Schottland nannte. Auf einer solchen Straße konnte man mühelos 30 Meilen am Tag schaffen.
Es war ratsam, während des Winters nach Westen zu ziehen, bevor die Schneeschmelze einsetzte und die Straßen aufzuweichen begannen. Ein Fuhrmann, den sie in einem Vorort von Gettysburg trafen, meinte: »Von Vorteil ist, wenn man in Pittsburgh ankommt, solange die Straßen gefroren sind. Dann hat man keine Schwierigkeiten und ist rechtzeitig da, wenn das Eis des Ohio aufbricht.« Er lachte. »Auf der starken Strömung könnt Ihr Euch dann wie auf einem fliegenden Teppich bis nach Cairo treiben lassen.« Nach einem prüfenden Blick auf den Planwagen kam er noch einen Schritt näher. »Kann ich Euch mal einen guten Rat geben?«
»Sprecht ruhig.«
»An Eurer Stelle würde ich den Conestoga verkaufen und mir einen leichteren Wagen nehmen.«
»Uns ist der gerade recht«, erwiderte Levi.
»Der Haken bei der Sache ist nämlich der: Wenn Ihr nach Pittsburgh kommt, braucht Ihr mit diesem schweren Wagen ein größeres Flachboot. Und das kostet einen Haufen Geld.«
»Wir werden's schon schaffen.«
»Eure Pferde sind wirklich prachtvolle Burschen.«
»Ja, ich mag sie auch.« Levi nahm die Zügel auf. Gettysburg war ganz nach dem Geschmack der Zendts. Eine ruhige Stadt, in der nicht viel passierte. Einige wenige Geschäfte dienten den Bedürfnissen der vielen Durchreisenden, und die Gasthöfe schenkten gutes Bier aus. Niedrige Steinmauern waren kreuz und quer durch das fruchtbare Land gezogen, auf den
Wiesen grasten Pferde und wohlgenährte Rinder. »Wenn man seine Farm schon nicht in Lancaster haben kann, dann hätte ich sie ganz gern hier«, sagte Levi nachdenklich. Diese Nacht schliefen sie am westlichen Rand von Gettysburg in einem Wäldchen aus rauhrindigen Hickorybäumen und hohen Kastanien. Dazwischen stand ab und zu ein ausladender Walnußbaum, der im Frühling am spätesten die Blätter bekommt und sie im Herbst als erster verliert.
»Solches Holz werden wir im Westen nicht haben«, murmelte Levi. Elly sah ihn undeutlich im Zwielicht, wie er kleine Borkenstückchen abriß. »Diese Hickorybäume wären in Lancaster ein Vermögen wert. Man könnte damit Unmengen von Schinken räuchern.« Levis Stimme klang wehmütig. Elly war sich im klaren darüber, daß er unter der Trennung von zu Hause viel mehr litt als sie. Sein früheres Leben war reich und erfüllt gewesen. Sie dagegen hatte nichts zurückgelassen außer der Freundschaft mit Laura Lou Baker. Ihre Liebe zu Levi wurde nur noch stärker dadurch, und sie war fest entschlossen, ihm eine gute Frau zu sein und ihm nach Kräften zu helfen. »Zeit fürs Bett«, rief sie ihm zu. Er folgte gern ihrer Aufforderung, denn mit jeder Nacht wurde es schöner. Von Gettysburg nach Pittsburgh waren es nur 180 Meilen. Da die Straße jedoch über einige steile Hügelketten führte, war das Vorwärtskommen erschwert.
Kurz vor Chambersburg machte das Rad Schwierigkeiten, das Amos Boemer seine Glocken gekostet hatte. Levi ging normalerweise links vom Wagen. Doch heute saß er, die Zügel fest in der Hand, auf dem »Lazyboard« Das war ein starkes Eichenbrett, das man aus der linken Seite des Wagenkastens herausziehen konnte. Wenn Levi dort saß, konnte er die Bremse bedienen und zugleich die Zügel halten. Elly nähte im Wageninneren. Plötzlich vernahm Levi ein leises Quietschen hinter sich. Zuerst glaubte er, die Bremse wäre etwas angezogen. Doch dann begutachtete er das linke Hinterrad und sah, daß sich der Eisenreifen gelockert hatte. Damit stand er vor einem ernsten Problem: Entweder hatte sich das Hickoryholz des Rades verzogen, oder der eiserne Reifen hatte sich durch die Reibungshitze ausgedehnt. Im nächsten Dorf teilte ihnen ein Stellmacher wenig Erfreuliches mit. »Dieses Rad taugt nichts mehr«, brummte er. »Macht Ihnen bloß noch Schwierigkeiten.«
»Was soll ich tun?« fragte Levi.
»Sie brauchen ein neues Rad«, erwiderte der Handwerker.
»Könnte man es nicht mit einem Keil versehen, um
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