Colorado Saga
dringt Regen durch. Ich kann mir vorstellen, wie es Noah zumute gewesen sein muß... «
Der Regen hörte nicht auf, bis sie zum ersten großen Hindernis auf ihrem Weg kamen, dem Big Blue River, der vom Süden aus Nebraska kam und mit dem Kansas River zusammenfloß. Sam Purchas hatte sie schon schonend auf die Überquerung vorbereitet: »Nur über ihn gelangt man in den Westen, und er ist ein echter Killer. Im Oktober geht es ja noch, aber im Mai und Juni schwemmt er einen glatt weg.«
Als sie an das steile Ufer kamen, war der Fluß durch die Regenfälle zu einem reißenden Strom angeschwollen, auf dem sogar entwurzelte Bäume trieben.
»Was machen wir jetzt?« wollten die Fishers und die Fraziers wissen.
»Warten«, entgegnete Purchas.
»Können wir nicht ein Floß bauen?«
»Wenn man's mit einem Floß versucht, ist man schneller wieder in Independence als am anderen Ufer.«
Also wartete man. Sechzehn nicht enden wollende Tage. Inzwischen waren auch später aufgebrochene Gruppen aus St. Joseph eingetroffen. Levis einziger Trost war der, daß alle jene, die ihn mit ihren Pferden überholt hatten, nun genauso untätig herumsitzen und warten mußten. Jeden Morgen gingen die Männer zum Ufer und inspizierten den Big Blue, und jeden Nachmittag studierten sie den Himmel, in der Hoffnung, daß ein Wetterumschlag sich ankündigen werde. »Zum Teufel«, schimpfte Sam Purchas, »als ich im letzten Oktober durch den Strom ritt, mußte ich nicht mal vom Pferd steigen. Ich hätt' sogar drüberspringen können.«
»Wann wird das Wasser zurückgehen?« fragte einer der Männer.
»Wir sind jetzt fünfzehn Tage hier, und bis jetzt gibt's noch nicht einmal das kleinste Anzeichen dafür.« »Schaffen wir's denn noch bis Oregon, wenn wir erst so spät über den Fluß kommen?«
»Freut euch jetzt lieber über das warme Wetter«, sagte Purchas, »denn später wird's verdammt kalt werden.«
Dann - es war der Abend der Tagundnachtgleiche im Juni - begann der Fluß rapide zu fallen, und am nächsten Morgen verkündete Purchas die frohe Nachricht: »Heute überqueren wir das verfluchte Wasser.«
Hauptmann Mercy und Unteroffizier Lykes schwammen als erste mit den Maultieren hinüber. Dann wurden die Planwagen der Fishers und Fraziers vorsichtig zum Wasser gezogen, wo man schwere Balken an ihren Längsseiten befestigte, so daß sie schwimmen konnten. Die Männer schoben von hinten an, während die Frauen sich hoch oben auf ihrer Habe festklammerten, um nicht naß zu werden. Dann führte man die Ochsen in den Fluß, und langsam verschwand der Wagen immer mehr im Wasser, bis es so aussah, als müßte er untergehen. Doch genau bei der vorhergesehenen Höhe begann er zu schwimmen. Ungefähr zwanzig Zentimeter hoch stand das Wasser im Wagenkasten, so daß die untersten Habseligkeiten völlig durchnäßt wurden.
Dann kam der Augenblick, wo die Ochsen keinen
Boden mehr unter den Füßen spürten und in Panik gerieten. Doch die Männer, die neben ihnen schwammen, sprachen beruhigend auf sie ein, und nach kurzem schwammen sie tapfer weiter. Für die Zuschauer war es ein beängstigender Anblick, als die Wagen beinahe in den schäumenden Fluten verschwanden, doch dann rief Elly nach einem Moment höchster Spannung: »Sie sind am Ufer!« Mit viel Geschnaube und hilflosem Herumtasten fanden die Ochsen endlich wieder festen Fuß und arbeiteten sich den schlammigen Abhang hinauf, mühsam den nassen Wagen hinter sich herziehend. Seccombe stieß einen Jubelschrei aus.
Nun machte sich Sam Purchas mit seinen drei Pferden an die Überquerung. Sie stellten sich sehr gut an, weil sie schon häufig Flüsse durchschwommen hatten. Dann wurde der Conestoga von Oliver Seccombe und Levi Zendt zum Wasser hinuntergeleitet und dort mit extra schweren Balken versehen. Levi watete in den Strom und versuchte, die Ochsen hinter sich herzuzerren, die ihm jedoch nicht folgen wollten. Schließlich schaffte er es, sie zu beruhigen, und die großen Tiere fanden Halt und gingen bis zu der Stelle, wo sie schwimmen mußten.
Und da ging irgend etwas schief. Entweder gerieten die Ochsen in Panik, oder Levi hatte sie schlecht geführt, jedenfalls entstand große Verwirrung, und der Conestoga bekam Schlagseite, so daß Elly in ihren langen und hinderlichen Röcken kopfüber ins Wasser stürzte. In dieser Nacht schrieb sie:
»Samstag, den 22. Juni... Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß zwei Männer von solchem Ansehen wie Hauptmann Mercy und Oliver Seccombe in
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