Colorado Saga
Spielzeug weg und laß mich hinaus!« sagte er verächtlich, griff nach seiner schwarzen Tasche, und Philip erkannte, daß sein Vater gern nachgegeben hätte. Doch seine Mutter rief: »Laß ihn nicht hinaus!« Es gab eine Balgerei, bei der Wendell seinen Revolver fallen ließ; fast wäre der Besucher entkommen, da packte Maude die Waffe und schlug ihn damit über den Kopf, stieß ihn zu Boden, hieb immer wieder auf seinen Kopf ein. Der Mann lag ganz still da, und Philip beobachtete, wie sein Vater niederkniete und mit einer fürchterlichen Stimme sagte: »Mein Gott, Maude! Du hast ihn erschlagen.«
Wirklich, er war tot. Die beiden Wendells, von ihrem Sohn hinter der Tür belauscht, debattierten mehrere grauenvolle Minuten lang darüber, was sie jetzt tun sollten, und Mervin war dafür, daß man den Sheriff rief und ihm erzählte, der Tote hätte...
»Kommt nicht in Frage!« schnappte Maude. »Der Sheriff hätte uns in einer Minute durchschaut.«
»Was sollen wir denn sonst tun?« jammerte Mervin. »Wir müssen die Leiche verstecken. Verschwinden lassen. Niemand weiß, daß er hier in der Stadt war.« Maude und Mervin zogen dem Toten die Hosen an. Philip sah gleichmütig zu, als ginge ihn das alles nichts an. Als sie fertig waren, half seine Mutter, den
schlaffen Leichnam ihrem Mann auf den Rücken zu heben, Philip ging zum Fenster und sah seinem Vater nach, wie er mit seiner Last über die Felder stolperte. Mervin Wendell war lange weg. Inzwischen räumte Maude das Zimmer auf und beseitigte alle Spuren. Sie arbeitete so gründlich, als träfe sie Vorbereitungen für ein Fest. Als ihr Mann zurückkehrte, fragte sie ihn in geschäftsmäßigem Ton: »Wo hast du ihn
hingebracht?«
Und er antwortete: »In den Brunnen geschmissen.« Da rief sie: »Um Gottes willen! Das ist der erste Platz, wo Dumire nachsehen wird.« Und sie starrten einander entsetzt ins Gesicht.
In diesem Augenblick erkannte Philip zum erstenmal in Dumire einen potentiellen Feind der Familie, und er begriff instinktiv, daß nur er allein seine Eltern vor den Nachforschungen des Sheriffs schützen konnte. Es war alles so wie in dem Stück »Der kleine Hornist von Brügge«, wo er es immer war, der seine Eltern rettete. Er hörte dem Gespräch im Nebenzimmer zu und wußte, daß seine Mutter recht hatte. Im Brunnen würde Dumire die Leiche sofort finden. Aber er kannte einen sicheren Ort, den nicht einmal Dumire jemals entdecken würde. Das war genau wie in der Szene, wo der kleine Hornist zusah, wie sein Vater das Geld des Königs in einer Kiste versteckte, die der böse Ratgeber sicherlich sofort finden würde. Aber Philip, das heißt der kleine Hornist, wußte, wo man das Geld verstecken mußte: in der Windmühle.
Er verließ sein Versteck, betrat den Raum, in dem sich seine Eltern aufhielten, und sagte ganz von selber die Worte aus dem Stück auf: »Vater, ich weiß, wo du es verbergen solltest.«
Seine Eltern sahen ihn an, ihren zehnjährigen Sohn mit dem Lockenköpfchen, und so verstrickt waren sie in ihre verzweifelte Lage, daß sie nichts Lächerliches dabei fanden, einen Rat von ihm anzunehmen. »Ich weiß, wo du ihn verstecken mußt«, wiederholte er, und die kleine Veränderung in seinen Worten brachte ihnen zum Bewußtsein, daß etwas geschehen mußte, und zwar sofort. Mervin griff nach seinem Mantel und sagte: »Gehen wir.« - »Nein, du nicht«, antwortete Philip, »nur Mutter und ich.« Er wußte, daß man sich in einer Krise auf seinen Vater nicht verlassen konnte. »Ich weiß, wo wir ihn hinschleppen müssen«, wiederholte er ruhig, während er und seine Mutter mit einem Seil in der Hand zum Brunnen gingen. »Dort werden sie ihn nie finden.«
Beim Brunnen zogen sie den trockenen Eimer herauf. Der Junge stieg in den Eimer und ließ sich von seiner Mutter hinunterbefördern. In der Hand hielt er das Seil. Er fühlte, wie der Eimer gegen etwas Weiches stieß und dann auf Kies landete. Er stieg aus dem Eimer, schlang das Seil um den Brustkorb der Leiche und befestigte es unter den Armen. Dann setzte er den Toten auf, damit das Seil nicht über die Füße herunterrutschte, wenn man von oben anzog.
Jetzt gab er seiner Mutter ein Zeichen, stieg wieder in den Eimer und wartete, daß sie ihn hinaufzog. Als er oben bei ihr war, sagte er: »Jetzt müssen wir fest ziehen«, und gemeinsam hievten sie den Toten herauf und zogen ihn über den Brunnenrand.
Als er vor ihren Füßen lag, fragte Mrs. Wendell: »Was nun?« Und Philip
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