Colorado Saga
Höfe zu kaufen oder ihre Kinder in die Schule zu schicken, was zwangsläufig dazu führte, daß sie dann keine Rüben mehr ausdünnen wollten? Die ganze komplizierte und für den Westen so lebenswichtige Struktur drohte an diesem unlösbaren Problem zu scheitern.
Und dann ritt Potato Brumbauch eines Tages zur Venneford-Ranch hinüber, um dort sein Heu zu verkaufen.
»Ich werde die Landwirtschaft ganz aufgeben«, sagte Brumbauch. »Ich kann keine Leute finden, die bei der Arbeit bleiben, und bei Emig oder Wenzlaff ist es das gleiche.« Er schüttete Jim sein Herz aus: »Meine Deutschen haben zwei Jahre Rüben ausgedünnt und sich dann ihre eigene Farm gekauft. Meine Russen sind achtzehn Monate geblieben, und weg waren sie! Jetzt haben sie ihren eigenen Besitz. Und diese Japaner! Nach acht Monaten haben sie eine Farm gekauft! Was wir brauchen, sind Menschen, die die Landwirtschaft lieben, nicht aber das Land.«
Jim lehnte am Gatter zu einem Feld, auf dem sich Crown-Vee-Kühe und deren gepflegte, sanfte Kälber tummelten.
»Kommen diese Kälber vom selben Stier?« fragte Brumbauch.
Jim nickte. »Das Kalb dort beim Zaun...« Er führte den Satz nicht zu Ende, denn dieses Kalb brachte ihm einen Tag in Erinnerung, der fast vierzig Jahre zurücklag. Damals hatte er ein anderes Kalb gekannt
- auf den glühendheißen Natronebenen beim Pecos River, als er mit R. J. Poteet Langhorn-Rinder zu einer Herde gesammelt hatte. Ein Kalb war geboren worden, und R. J. hatte befohlen, es zu töten. Es war Jim unmöglich gewesen, dem Befehl nachzukommen. »Ich ziehe Kälber auf«, hatte er zu Poteet gesagt. »Ich bringe sie nicht um.«
Und mit stillschweigender Duldung des Kochs - wie war doch gleich sein Name gewesen? - hatte er das Kalb gerettet. Im Tauschweg überließ der Koch es später mexikanischen Siedlern, die unweit der großen Chisum-Ranch ihr Land bestellten. Noch sah er die Freude in den Augen dieser Peone, als sie dem Kalb über das Fell strichen - die runden dunklen Gesichter, das dichte schwarze Haar, die weißen Zähne, die braunen Hände, die den Gästen Pfefferbohnen und Hühner anboten.
»Ich hab's!« rief er. »Mexikaner!«
Südlich des Rio Grande, der in Mexiko den Namen Rio Bravo führt, liegt der große Bundesstaat Chihuahua, mit der Hauptstadt gleichen Namens nahe der Landesmitte. Einhundertfünfundzwanzig Meilen westlich der Stadt erheben sich die steilen, dunklen Ketten der gold- und silberreichen Sierra Madre.
Wie ein feiner Faden aus gesponnenem Silber stürzen die Wasserfälle von Temchic aus den Bergen. Das Tal des Rio Temchic verläuft in östlicher Richtung. Es bildet eine anmutige Enklave, die auf drei Seiten von so ungewöhnlichen Felsformationen umschlossen ist, daß man hätte meinen können, sie verdanken ihr Entstehen der Hand eines Künstlers. Nördlich des Rio Temchic ragen die vier Gipfel zum Himmel, die es beschützen: El Águila, El Halcón, El León, El Oso -
Adler, Falke, Löwe, Bär. An der Südseite erheben sich große Massen von Granit, die Schiffen oder übelgelaunten vorgeschichtlichen Tieren gleichen. Mehrere tausend Jahre lang war dieses Tal die Heimat der Temchic-Indianer gewesen, eines Stammes der Tarahumare, jener gazellenschlanken Menschen, die in den Bergen lebten und sich mit einem Minimum an Kultur begnügten. Bedauerlicherweise beinhaltete das Tal, das ihre Heimat war, eine der größten Silberminen der Welt. Sie fanden nie heraus, wie das Erz zu schürfen gewesen wäre. Das blieb den Spaniern überlassen, die im Jahre 1609 das Land erforschten. Unverzüglich wurden die Temchic
zusammengetrieben, mit Gewalt zum Christentum bekehrt und in den Stollen unter Tag einer so entsetzlichen Sklaverei unterworfen, daß im Jahre 1667 kein einziger Temchic mehr existierte.
In der Legende hieß es, das Silber des Wasserfalles sei weit in die Erde eingedrungen, wo es sich zu einer reichen, tiefen Erzader kristallisiert hatte. Ganz gewiß reichten die Temchic-Minen weit in die Tiefe, und es war immer ein Problem, das Erz an die Oberfläche zu bringen. Lange schlanke Baumstämme wurden in das Innere hinabgelassen, und etwa ein Meter lange Querhölzer an die Stämme genagelt. So entstand eine selbstmörderische, fast senkrecht verlaufende Leiter ohne Geländer oder sonstigen Schutz. Über diese entsetzlichen Leitern zwang man die Temchic, hinunter- und mit riesigen Körben voller Silber auf dem Rücken wieder heraufzuklettern. Jahre hindurch lebten sie unter der
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