Colorado Saga
Erde, und ihre Totenglocken waren dumpfe Schreie, wenn einer nach dem anderen, schwach und unsicher, von den langen Leitern stürzte. »Der letzte Temchic ist gestern gestorben«, heißt es in einem Bericht aus dem Jahre 1667, »aber es bleibt uns der Trost, daß sie alle als gute Christen in den Tod gegangen sind.«
Temchic Plateado - »das silberne Temchic« - lautete der dem Tal in den Jahren danach liebevoll verliehene Beiname, und als die indianische Urbevölkerung erloschen war, trieben die spanischen Betriebsleiter der Minen die sanftmütigen Tarahumare aus der Sierra Madre zusammen, die aber in einem so erschreckenden Ausmaß zugrunde gingen, daß es wirtschaftlich kaum vertretbar erschien, sie weiterhin zu verwenden. Wie ein spanischer Bergbauingenieur nach Madrid berichtete: »Sie werfen einen Blick auf die tiefe Grube und die Leitern und stürzen sich in den Tod. Ich glaube nicht, daß sie vom Schwindel erfaßt werden. Ich glaube, daß sie, die das freie Leben in den Bergen gewöhnt sind, sich lieber in den Abgrund stürzen, als im ewigen Dunkel zu arbeiten.«
Ihr Platz im Tal wurde von jener seltsamen und oft schönen Rasse von Mestizen - Abkömmlinge von Spaniern und Indianern - eingenommen, die man in der Folge Mexikaner nannte. Diese Menschen waren enormer Anstrengungen fähig, wenn ihnen die Notwendigkeit dafür gegeben zu sein schien,
bestechender Liebenswürdigkeit, wenn man sie großzügig behandelte, und blutiger Vergeltung, wenn man ihnen Gewalt antat.
Sie arbeiteten wie die Maultiere. Manche Grubenarbeiter blieben oft tagelang ununterbrochen unter der Erde. Sie aßen wenig, und sie bekamen wenig bezahlt. Sie wurden ausgepeitscht und
geschlagen wie nur wenige Arbeiter in diesen relativ unmenschlichen Zeitläufen. Wenn sie sich in ihrer Verzweiflung hilfesuchend an die Behörden wandten, wurden sie von der Landpolizei zurückgewiesen, deren Mitgliedern es eine geradezu diebische Freude
bereitete, sie niederzuschießen. Vater Gravez, der Gemeindepfarrer, setzte ihnen auseinander, daß sie in den Minen arbeiten müßten, weil dies Gottes Wille sei. Wenn sie also höhere Löhne wollten, würden sie Gottes und Don Luis' Mißfallen erregen - wobei vornehmlich Don Luis' Mißfallen zählte.
General Luis Terrazas war der Herr von Chihuahua, nicht nur der Stadt, sondern des ganzen Staates. Er begann seine Karriere 1860, als er einen militärisch eher unbedeutenden Angriff gegen ein unverteidigtes Gebäude führte und sich daraufhin zum Obersten ernannte. Um viertausend Dollar kaufte er sich eine Ranch, die sieben Millionen Morgen umfaßte und auf der er Vieh züchtete, dessen Wert nach nicht allzu langer Zeit fünfundzwanzig Millionen Dollar betrug. Er wußte die ihm daraus erstehende Macht zu nützen. Im Jahre 1900 besaß er drei Banken, vier Textilfabriken, zahlreiche Mühlen und sechzehn andere für seinen Erfolg entscheidende Unternehmungen in einem Gesamtwert von mehr als siebenundzwanzig Millionen Dollar. Auch die Silbermine von Temchic zählte zu diesen Unternehmungen, und die Verwalter nahmen es sehr ungnädig auf, wenn die Grubenarbeiter die Produktion unterbrachen und auf diese Weise General Terrazas Einkommen schmälerten. Die Verwalter wiesen daher die Landpolizei an, alle Unruhestifter einfach über den Haufen zu schießen, und ermahnten Vater Gravez, alles zu tun, um den Frieden im Tal zu erhalten. Don Luis erwartete das von ihm.
Es war ein von Natur aus friedliches Tal. Winzige Häuschen, nicht viel größer als Hundehütten, säumten den schäumenden Rio Temchic. Auf den Hängen, genügend weit von den Maultierpfaden zurückgesetzt, standen die geräumigen weißen Häuser der deutschen und amerikanischen Ingenieure, die General Terrazas' Minen betrieben. Ein historischer Zufall wollte es, daß alle amerikanischen Familien aus ein und derselben Gegend in Minnesota kamen. Terrazas erwies sich ihnen gegenüber so großzügig, daß sie sich mit der Zeit als seine auserwählten Vertreter betrachteten und die mexikanischen Arbeiter nicht viel weniger brutal behandelten, als dies die Landpolizei tat.
»Sie sind wirklich nur Tiere«, pflegten die amerikanischen Ingenieure zu sagen, die die
Einhaltung eines Planes überwachten, der auf einer Arbeitszeit von vierzehn Stunden am Tag, an allen sieben Tagen der Woche, beruhte. »Wenn sie von der Arbeit kommen, wissen sie sich nichts Besseres, als in ihre Hütten zu laufen und sich mit ihren Weibern zu
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