Colorado Saga
tägliche Geschehen auf der Ranch zu beobachten und sehen zu müssen, daß ihr Mann nur eine zweitrangige Stellung einnahm, bedeutete für sie eine Quelle ständigen Ärgernisses. Sie selbst besaß sechsundvierzig Prozent der Aktien, aber Jim war nicht viel mehr als ein Lakai, dem John Skimmerhorn seine Arbeit anwies. Es quälte sie, zu sehen, wie ihr herzensguter Mann unverdrossen die zweite Geige spielte, und sie hatte schon oft daran gedacht, etwas zu unternehmen, um dieses Unrecht zu beseitigen.
Nun hatte ihr der schlaue alte Finlay Perkin eine Chance geboten, und sie griff mit beiden Händen danach. Sie fand Jim im Kälberschuppen. »Eben habe ich einen Brief aus Bristol bekommen«, berichtete sie. »Die haben eine wunderbare Idee. Du sollst Verwalter werden.«
»Und was wird mit Skimmerhorn?« fragte er sofort. »Er wird schon etwas finden.«
Jim hatte den Schuppen gewaschen. Jetzt drehte er das Wasser ab und legte den Schlauch nieder. »Denkt man in Bristol daran, Skimmerhorn hinauszuwerfen?« »Nicht gerade hinauszuwerfen...«
»Charlotte«, fiel er ihr ins Wort, »John Skimmerhorn hat mir die Chance gegeben, Viehzucht zu lernen. Als wir das Vieh herbekamen, wollte Seccombe mich gar nicht anstellen, aber Skimmerhorn bestand darauf.« Er unterbrach sich und dachte an seine größte Dankesschuld. »Und im Llano Estacado, als wir beinahe verdurstet wären, kaufte er meiner Mutter das Vieh ab.« Er drehte sich um. Seine Frau sollte nicht sehen, daß seine Augen feucht wurden.
»Was willst du damit sagen?« fragte Charlotte.
»Ich will damit sagen, daß John Skimmerhorn nicht entlassen werden kann«, antwortete er langsam und sehr nachdrücklich.
»Aber... «
»Charlotte! Er kann nie von dieser Ranch gefeuert werden. Niemals!«
»Bist du es zufrieden, dein ganzes Leben die Befehle eines anderen auszuführen?«
»Er ist nicht >ein anderer<. Er ist wie ein Vater zu mir gewesen. Er ist...« Er suchte nach Worten und sagte dann in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ: »Du kannst mich hinauswerfen, Charlotte, aber nicht ihn. Und wenn Bristol darauf besteht, gehen wir beide.«
Seine Frau hätte ihm noch so manches Argument entgegenzusetzen gewußt, aber sie zweifelte nicht daran, daß er sich über alle hinwegsetzen würde. In gewissem Sinn war sie sogar froh, auch diese Seite ihres Mannes kennengelernt zu haben. Sie hatte jede Achtung vor Oliver Seccombe, ihrem ersten Mann, verloren, weil er moralisch so schlapp geworden war, daß er für nichts und niemanden mehr geradestand.
Ihr zweiter Mann, dieser beherzte Texas-Cowboy, gab ihr hier ein für alle Male zu verstehen, daß John Skimmerhorn für ihn kein Verhandlungsobjekt war. Sie teilte seine Meinung nicht, aber sie liebte ihn dafür um so mehr.
Sie entschloß sich also, den rechten Augenblick abzuwarten. Doch etwa elf Monate später erhielt Jim Lloyd einen Brief, der ihn, so schilderte er es später seiner Frau, wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf. Der Schreiber war R. J. Poteet aus Jacksboro, Texas, und der Brief lautete:
»Hier in der Gegend stellt eine Gruppe englischer Geldgeber eine große Ranch auf die Beine. Sie haben mich aufgefordert, mitzumachen. Ich habe etwas Geld gespart, und von dieser Seite gäbe es daher keine Schwierigkeiten, aber ich werde zu alt, um einen so großen Betrieb zu leiten. Ich habe ihnen offen gesagt, ich kann nur mitmachen, wenn sie mir erlauben, einen Mann für die schwere Verwaltungsarbeit anzustellen. Aber der einzige, dem ich ein solches Amt anvertrauen würde, ist Dein Verwalter und unser beider Freund
John Skimmerhorn. Es würde mir nie einfallen, etwas in dieser Richtung hinter Deinem Rücken zu unternehmen, und darum frage ich Dich: Erlaubst Du mir, daß ich mich mit ihm diesbezüglich in Verbindung setze?«
Es war irgendwie schicksalhaft, dachte Jim, daß Poteets Angebot just zu einer Zeit kam, da Charlotte ihre Unzufriedenheit über die Anwesenheit des älteren Mannes wieder deutlicher zur Schau trug, und so schickte er Poteet ein Telegramm in dem Sinn, daß Venneford Skimmerhorn freigeben würde, wenn die Stellung in Jacksboro diesem echte Vorteile böte.
Drei Tage später stieg R. J. Poteet, mit seinen vierundsechzig Jahren immer noch schlank und sehnig, aus dem Zug und begrüßte seine alten drei Trailgefährten Skimmerhorn, Lloyd und Calendar. Letzterer war von den beiden anderen in die Stadt mitgenommen worden. Sie begaben sich unverzüglich in die Bar des Bahnhofshotels, um dort Erinnerungen
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