Colorado Saga
Geld, das ihm geblieben war, nachdem er Serafina die Giros Postales geschickt hatte, stürmte er in die vertrauten Kneipen in der Santa Fe Street und lud alle seine alten Freunde zum Bier ein. Das scharfe Essen und die lauten spanischen Lieder erwärmten ihn; als sein Geld alle war und der Blizzard von den Rockies herunterpfiff, saß er in irgendeiner warmen Ecke und versicherte seinen Freunden: »Der Winter ist die schönste Zeit des Jahres.«
Ende 1909 begann sich eine Entwicklung anzubahnen, die Tranquilino aus diesen ihm so lieben Zufluchtstätten verbannen sollte. Es fing alles mit Potato Brumbauch an, und wie das manchmal so ist, war es nicht ein Mangel, sondern ein Übermaß an
Zuneigung, das zu Schwierigkeiten führte. Brumbauch hatte Marquez immer gut leiden können. Er erkannte in ihm den überdurchschnittlichen Arbeiter, der er auch war, und wünschte nun, seine Wertschätzung durch eine bedeutsame Geste unter Beweis zu stellen. Doch der großherzige Russe war völlig außerstande, Marquez als das zu verstehen, was er war: als einen nüchternen, stillen, ungebildeten Bauern, der mit seinem Los durchaus zufrieden war. Brumbauch wollte ihn zur Schule schicken, wollte, daß er sein eigenes Stück Land bebauen solle. Potato hatte seine eigenen klaren Begriffe über die Beziehung, die ein Bauer zu seinem Land haben sollte, und dazu gehörte auch jene Art Emsigkeit, wie sie den Deutschen zu eigen war. Er wollte dem Mexikaner beibringen, wie man zu leben hatte, und als ersten Schritt in dieser Richtung machte er Tranquilino ein verlockendes Angebot.
»Du bist der beste Freund, den ich habe, Tranquilino«, sagte er in einer Mischung aus Deutsch, Englisch und Spanisch und legte seinen Arm um die Schulter des Mexikaners. »Ich sehe es nicht gern, wie du hin und her ziehst... Centennial... Denver... Chihuahua. Du mußt dein eigenes Heim haben. Fahr ein letztes Mal nach Mexiko und hol deine Familie her. Ich baue euch da drüben ein Häuschen hin, und da könnt ihr mietfrei wohnen, solange ihr lebt.«
Noch einmal sträubte sich Tranquilino. »Ich mag Dember«, antwortete er. »Ich mag Santa Fe Street, wenn der Winter kommt. Musik... mexikanisches Essen. Haus hier oben, keine Freunde. Kalt. Eis und Schnee. Ich mag Dember.« Und er lehnte das Angebot ab.
Als aber im November 1911 der Scheck von der Zuckerfabrik eintraf, konnte sich Brumbauch der Tatsache nicht verschließen, daß er seinen Mexikanern nicht ihren gerechten Anteil am Ertrag seiner Felder bezahlte. Und weil er nicht der Mann war, der sich ungebührlich an der Arbeit anderer Menschen bereicherte, sagte er zu Tranquilino: »Du bist mein Sohn«, und das meinte er ernst, denn als er seinen eigenen Sohn Kurt genötigt hatte, Jura zu studieren und in die Verwaltung von Central Beet zu gehen, hatte er ihn, ohne es zu wollen, vom Hof vertrieben. Als junger Mann schon dem Boden entfremdet, hatte er jede Beziehung zu ihm verloren.
»Ich brauche dich bei mir«, sagte Potato zu Tranquilino und lächelte verlegen. »Ich bin ein alter Mann, und ich brauche Hilfe. Bring deine Frau und deine Kinder. Du kannst dieses Land bewirtschaften, solange du lebst.« Und Tranquilino machte sich nach Mexiko auf.
In den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts kam eine Unruhe über die Venneford-Ranch, die unangenehme Folgen hätte haben können, wäre Charlotte Lloyd nicht ebenso verständnisvoll wie zäh gewesen. Die Sache begann mit einem vertraulichen Brief von Finlay Perkin, der an sie persönlich adressiert war:
»Sie sind jetzt seit drei Jahren mit James Lloyd verheiratet, und ich halte es für nötig, Ihre Aufmerksamkeit auf eine etwas heikle Angelegenheit zu lenken, obwohl ich ganz sicher bin, daß Sie sich des Problems bewußt sind. Die Eigentümer in Bristol halten es für höchst unklug, John Skimmerhorn als Verwalter zu beschäftigen, da Sie und Ihr Gatte als Hauptaktionäre am Ort wohnhaft und durchaus in der Lage sind, den Betrieb selbst zu leiten. Es ist dies nicht nur eine Geldfrage. Die Situation könnte auch zu Zwistigkeiten zwischen den beiden Männern führen. Skimmerhorn ist erst vierundfünfzig und kann leicht eine andere Stellung finden. Wir würden ihm das beste Zeugnis ausstellen. Ich empfehle Ihnen daher, ihn sofort seiner Stellung zu entheben.«
Charlotte las den Brief und mußte die Richtigkeit der darin ausgesprochenen Empfehlung anerkennen. Wie Perkin angenommen hatte, beschäftigte sie sich schon seit einiger Zeit mit dem Problem.
Das
Weitere Kostenlose Bücher