Colorado Saga
sagte er.
Als Magnes und Vesta das Grashaus erreichten, hatte die Geburt bereits eingesetzt, so daß der Plan, Alice nach Centennial zu bringen, fallengelassen werden mußte. »Weißt du, wie man das macht?« erkundigte sich Earl bei Vesta. »Keine Angelegenheit«, antwortete sie und zog ihren »Ärztlichen Ratgeber« unter der Schürze hervor. Mit viel Herumgefummel und überflüssiger Aufregung wurde Alice Grebe ihres Babys entbunden, eines Knabens, den sie Ethan nannte, nach einer Figur in einem Roman von Mrs. Wharton.
Die ständige Abwechslung, die die Prärie ihr bot, erleichterte Alice das harte Leben im Grashaus.
»Anfangs sah ich nur die große Leere«, erzählte sie einmal Vesta. »Dann fing ich an, die Vögel zu beobachten, und bald kamen mir die Falken und die Rotdrosseln schöner vor als die Blumen bei uns zu Hause.« Nicht weit vom Grashaus gab es einen Bau von Präriehunden. Der Bau war über dreitausend Jahre alt, und die Tierchen gewöhnten sich schnell an die Anwesenheit menschlicher Wesen. Ihre Possenspiele machten Alice viel Spaß. Sie hatte auch dramatischere Erlebnisse, wie etwa den plötzlichen Anblick von Gabelböcken, wenn sie, flinke, zerbrechliche, beschwingte Wesen, einem unerklärlichen Trieb folgend von den Spitzkuppen herabgesprungen kamen, am Grashaus vorbeiflitzten und schließlich in nördlicher Richtung wieder verschwanden.
Im Oktober 1912 verirrte sich der letzte Büffel von Colorado ins Blaue Tal. Es war eine alte Kuh, die sich in den Hügeln hinter dem Bergwerkslager verborgen gehalten hatte. Wie sie dem Hunger, den Wölfen und den Jägern entkommen war, das wußte keiner, aber als letzte ihrer Herde hatte sie den Kampf nicht aufgegeben.
Es war ein schweres Tier, das viel Gras im Jahr benötigte. Sie hätte es vorgezogen, auf dem Flachland zu weiden, wie das ihre Vorfahren getan hatten, doch die ständige Zuwanderung von Siedlern und die Errichtung von Städten wie Line Camp machten das unmöglich. Darum hielt sie sich in den Bergen verborgen und ernährte sich von der üppigen Vegetation, die sie in entlegenen Tälern vorfand.
Im Sommer fraß sie, so viel sie konnte, im Winter zehrte sie von ihrem Fett und ernährte sich überdies von trockenen Gräsern, soweit sie solche unter dem Schnee hervorholen konnte. Geriet sie in einen Blizzard, behielt sie die alte Taktik bei: festen Stand annehmen, Kopf senken und ihn wie ein Dampfbagger seinen Förderkübel hin- und herschwenken.
Der Winter 1913 brachte viel Schnee, und sie war es müde geworden, ihn wegzuschieben, doch wenn sie dann das Gras erreichte, schmeckte es gut, und so hatte sie die kalte Jahreszeit dann doch überstanden. Dann kam ein warmer Frühling und ein prächtiger Sommer, und sie wurde wieder fett. Es hatte ihr keine Freude gemacht, allein nach Nahrung zu suchen, denn sie war immer ein geselliges Tier gewesen, doch in den letzten Jahren ihrer Einsamkeit hatte sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden.
Und dann, durch eine verhängnisvolle Fügung, die sie hätte abwenden können, wäre sie noch jünger gewesen und imstande, die Gefahr zu entdecken, kam sie eines Tages im Morgengrauen über die Kuppe eines Hügels und fand sich im Hinterhof einer Jagdhütte.
»Jesus Maria!« rief Jake Calendar seine Freunde herbei. »Ein Büffel!«
Zusammen mit vier Freunden war er zur Jagd in die Berge gekommen - zur Jagd auf Rotwild oder Hirsche, oder, wenn sich nichts Besseres fand, Gabelböcke. Auch gab es immer die Chance, auf einen Bären zu stoßen. Jetzt stürzten alle ans Fenster und sahen oben auf dem Hügel, hinter der Hütte, einen Büffel - noch dazu einen großen.
»Reicht mir meine Flinte!« sagte Jake in leisem, beherrschtem Ton. Er beobachtete das alte Tier, das, keine Gefahr ahnend, den Hügel herabkam.
Ohne sich die Mühe zu nehmen, ihre Hosen anzuziehen, schlüpften die vier anderen in ihre Schuhe und standen schon wenige Augenblicke später im Freien, jeder mit einer geladenen Büchse im Anschlag. Schweigend stellten sich die Männer in einer Reihe auf und visierten an. »Nur ruhig«, warnte Jake. »Es ist nicht ganz leicht, ein so großes Tier zu erlegen.« »Eins... zwei... drei!« Jackson Quimbish besorgte das Zählen, und als er die letzte Zahl ausgesprochen hatte, feuerten die fünf Männer.
Schnell luden sie wieder und feuerten abermals.
Sie luden ein drittes Mal und schossen wieder auf die erstaunte alte Kuh. Bei der ersten Salve war sie stehengeblieben, dann aber eigensinnig weitergetrottet, das
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