Colorado Saga
entsetzt gewesen, denn es waren die Lieder der Revolution.
Sheriff Bogardus ließ La Cantina nicht aus den Augen und nahm sofort Verhaftungen vor, wenn ein Sänger zu lärmend wurde oder jemand eine Limonadenflasche auf die Straße warf. Er argwöhnte, daß gegen das neue Gesetz, das den Alkoholkonsum in den Vereinigten Staaten verbot, verstoßen wurde, und führte zahlreiche Razzien durch. Sooft ihn die Nachricht von einer neuen Sendung erreichte - denn die aus Kanada kommenden Schmuggler, die ihre Ware in Centennial ablieferten, ließen zuweilen auch ein paar Flaschen in Klein-Mexiko zurück -, ignorierte er die in der Stadt getätigten Käufe und verhaftete
Triunfador. Der »Clarion« brachte dann am folgenden Montag eine sarkastische Glosse.
»Triunfador Marquez, der heimliche Bürgermeister von Klein-Mexiko, wurde vergangenen Sonnabend wieder einmal festgenommen, weil er in seinem feudalen Klub alkoholische Getränke übelster Qualität ausschenkte. Jetzt sitzt er im Knast.«
Die häufigen Verhaftungen seines Sohnes machten Tranquilino viel Sorge. Wenn er auch in Mexiko aktiver Revolutionär gewesen war, in Klein-Mexiko führte er das Leben eines mustergültigen Bürgers. Oft machte er seinem Sohn Vorwürfe.
»Als du das letzte Mal im Gefängnis warst«, erzählte er Triunfador, »war Sheriff Bogardus bei mir >Warum kann Triunfador nicht ein guter Mexikaner sein?< hat er mich gefragt. >Im Sommer seine Arbeit tun und im Winter keinen Ärger machend.<«
Wenn Triunfador sich im Gefängnis befand, empfing er oft den Besuch Vater Vigils und stellte überrascht fest, daß der katholische Priester ein Mann von großer visionärer Kraft war. Er sah den Tag voraus, da die Mexikaner in Staaten wie Texas und Arizona ihre rechtmäßige Stellung erhalten und den Platz einnehmen würden, der ihnen zukam - keinen zu hohen, keinen zu niedrigen, aber einen gerechten. Um ihn auf diesen Tag vorzubereiten, fing er an, Triunfador lesen zu lehren, und gab ihm auch Schulbücher, die er sich aus Mexiko hatte kommen lassen. Aus diesen Büchern lernte der Junge mexikanische Geschichte und erfuhr vieles über die Traditionen seines Landes. In modernen Büchern las er, wie der Diktator Porfirio Diaz Mexikos Reichtümer an den Bestbieter verschachert hatte, ganz gleich, ob dieser Mexikaner, Spanier, Amerikaner oder Deutscher war. Mit großem Interesse las er auch von General Terrazas, dem Diktator von Chihuahua, denn er wußte von seinem Vater, wie sie Terrazas Haziendas niedergebrannt hatten, und er begann zu verstehen, was es bedeutete, ein Mexikaner zu sein.
Er hatte nicht den Wunsch, in sein Geburtsland zurückzukehren; er erinnerte sich kaum noch daran. Er liebte Amerika, liebte seine relative Freiheit und die Chancen, die es den Menschen bot. Er konnte sich sogar Geld von dem Mann ausleihen, der ihm die Limonade lieferte, und das Holz, das er für den Ausbau seiner Cantina brauchte, hatte er auf Kredit gekauft.
Doch manches, was in Amerika geschah, machte ihn wütend, wie etwa das, was im Oktober 1923 passierte. Den ganzen Sommer über hatten seine Eltern für einen Russen namens Grabhorn gearbeitet, hatten über ihr Pensum hinaus auf den Rübenfeldern geschuftet. Bei der Ernte hatte Tranquilino sich als Rübengabelmann betätigt. - »Witwenmacher« nannte man die Gabel, denn sie machte den Mann fertig, der zweiunddreißig Pfund Rüben hochheben und sie über die Bordwand des Güterwagens werfen mußte. Wenn dann am 15. November der Scheck kam, so hatte er diese zusätzliche schwere Arbeit gerechtfertigt, er würde mehr Geld haben, das er Triunfador geben konnte, um die Cantina zu vergrößern.
Mr. Grabhorn rief am 31. Oktober an. Die Anglos wußten, wie man das machte - Einwanderungsamt Denver, Colorado. Man brauchte gar nicht seinen Namen anzugeben. Man flüsterte einfach in den Apparat: »Ich bin ein biederer Amerikaner, und es dreht mir den Magen um, wenn ich sehe, was die Fremden sich bei uns alles erlauben. Auf der Grabhorn-Farm in Centennial arbeitet ein mexikanisches Ehepaar ohne Arbeitserlaubnis, Tranquilino Marquez und seine Ehefrau Serafina. Man müßte sie nach Mexiko zurückschicken. Dort gehören sie hin.«
So erschienen, drei oder vier Tage bevor die Schecks kamen, Beamte der Einwanderungsbehörde auf der Grabhorn-Farm, verhafteten Tranquilino und seine
Frau und brachten sie nach Mexiko zurück. Grabhorn brauchte ihnen natürlich keinen Lohn zu zahlen und steckte das Geld ein, das sie sich so mühsam
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