Colorado Saga
Johannes den Täufer beriefen und sich Kaktusdornen in den Rücken trieben, um ihre Bußfertigkeit zur Schau zu stellen. Als er nun auch hier mit solchen tollen Sitten anfing, machten die ehrbaren Christen von Colorado kein Hehl daraus, daß sie nicht gewillt waren, solchen Unfug zu dulden. Es gab schickliche Arten, Gott zu verehren, zu diesen zählte eine so exhibitionistische Bußfertigkeit gewiß nicht.
Sheriff Bogardus fiel daher die Aufgabe zu, solche Demonstrationen aufzulösen, denn wenn sich die Mexikaner um den Verfechter einer so aufrührerischen Religiosität scharten, würden sie sich wohl als nächstes zu einer Gewerkschaft zusammenschließen, und das Massaker der Kohlenarbeiter von Ludlow hatte ja gezeigt, was dann zu erwarten war. Kein Wunder also, daß auf der Polizeistation große Aufregung herrschte, wenn der Ruf erscholl: »Die verdammten Penitentes sind wieder unterwegs!«
Dann sprangen der Sheriff und seine Männer in ihre Autos und brausten zu den Feldern im Norden von Klein-Mexiko hinaus, wo die Gottsucher, ihr Fleisch von Dornen durchbohrt, in schwärmerischem Sinnestaumel, ächzend und wehklagend über die Wiesen tanzten. Knüppel wurden geschwungen, und heisere Stimmen schrien: »Das könnt ihr in Colorado nicht machen!« Und früher oder später trat Vater Vigil vor, um zu protestieren, worauf ein Polizist ihm ins
Gesicht schlug und der Priester blutend zu Boden stürzte.
»Warum können sie Gott nicht verehren wie andere Menschen auch?« stellte Sheriff Bogardus an einem Sonntag die Frage, nachdem ihm die Penitentes wieder einmal zu schaffen gemacht hatten. »Warum können sie nicht Baptisten sein oder normale Katholiken?«
In dieses Klein-Mexiko zog Tranquilino Marquez Ende November 1921 mit seiner Frau Serafina, seinem hitzköpfigen Sohn Triunfador und seiner jetzt dreizehn Jahre alten, liebreizenden Tochter Soledad. Sie fanden eine altersschwache, unvorstellbar schmutzige Hütte und machten sich daran, sie zu säubern und herzurichten. Serafina vollbrachte wahre Wunder mit Schere und Nadel und hätte es noch besser gemacht, wäre ihr eine Nähmaschine zur Verfügung gestanden. Auf Wegen, die näher zu untersuchen seinem Vater nicht geraten erschien, schaffte Triunfador Bauholz heran, um die schwankenden Wände der Baracke abzustützen. Zwar konnte man, als sie mit allem fertig waren, nicht von einem Haus sprechen, denn die Hütte bot praktisch keinen Schutz vor Regen oder Wind, aber es war eine Unterkunft. Und hier ließ die Familie sich nieder.
Es war nicht ihre Art, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und so hatten sie keinen Grund, Sheriff Bogardus zu fürchten, und da Tranquilino sich auch nicht für die Penitentes interessierte, bestand keine Gefahr, daß er von den Polizisten niedergeknüppelt werden konnte. Nur Triunfador, groß gewachsen und sehnig wie sein Vater und gleich seiner Mutter hart wie Eisen, gab Anlaß zur Sorge. Mit seinen zwanzig Jahren konnte er zwar weder lesen noch schreiben, verstand sich aber auf den Anbau von Zuckerrüben und hatte den festen Willen, es im Leben zu etwas zu bringen. Der Ärger fing an, als er eine verlassene Baracke an der Staatsstraße Acht fand, die von Centennial nach
Line Camp führte. Ohne bei der Behörde um eine Erlaubnis anzusuchen, nahm er sie in Besitz und stellte ein Grammophon, drei Tische und ein paar Stühle auf. Er richtete ein gemütliches Lokal für die stellungslosen Arbeiter ein und verkaufte bald auch Zuckerstangen und Limonaden.
Die Farmer von Centennial kamen sehr schnell dahinter, daß in La Cantina, wie die Kneipe hieß, die Saat des Aufruhrs keimte. »Wenn wir es zulassen, daß diese verdammten Mexikaner sich dort zusammenscharen«, warnte ein russischer Rübenbauer Sheriff Bogardus, »wird es nicht lange dauern, und wir haben Gewerkschaften und auch sonst allerhand Ärger.« Als dann eine zweite Beschwerde einlief, erkannte Bogardus, daß er seine Pflicht tun müsse. Drohend, mit aus dem Halfter vorstehenden Pistolen stand er in der Tür. »Das Lokal ist geschlossen«, verkündete er und zog sich zurück. Der Gedanke, die Mexikaner könnten einen so klar formulierten Befehl mißachten, kam ihm nicht in den Sinn.
Triunfador dachte nicht daran, zuzusperren, denn er sah in La Cantina einen ersten Schritt auf dem Weg zu einem besseren Leben für sein Volk. »La Raza«, sagte er, wenn er von seinen mexikanischen Brüdern sprach. Die Rasse, die ganze spanische Rasse, und damit meinte er sowohl die Menschen, die aus
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