Colorado Saga
nieder und starrte sie an. Und wenn sie nicht da war, konnten die Gäste sehen, wie er seine Schultern hängenließ.
Sie hatte natürlich vom ersten Augenblick an gewußt, daß er sich zu ihr hingezogen fühlte, und das gab ihr eine große Befriedigung. Es war wie damals, als die
Familie den Winter in Denver verbracht und ein mexikanischer Sänger sie auf die Knie genommen und ihr etwas vorgesungen hatte. Es hatte ihr nichts bedeutet, doch bewahrte sie die Erinnerung und hütete sie wie einen Schatz.
Sie wußte, daß Henry Garrett verheiratet und Protestant war und Kinder hatte, so daß es diesbezüglich für sie keine Hoffnung gab. Sie wußte auch, daß ihr Bruder Triunfador sie genau beobachtete und ihr offen angedroht hatte, sie nach Mexiko zurückzuschicken, wenn sie sich einfallen ließe, Garrett irgendwelche Avancen zu machen. Doch trotzdem ertappte sie sich dabei, wie sie auf das Motorgeräusch des Dodge wartete.
Sie hörte den Wagen nach Süden brausen und wußte genau, daß er auf der Rückfahrt nicht so schnell vorbeijagen, sondern anhalten würde. In sich hineinlächelnd wischte sie dann die Tische sauber oder bereitete Refritos zu und zog sich nach einer Weile in ihr Zimmer im Anbau zurück, um sich zu kämmen und ein Band in ihr Haar zu flechten.
Ein halbes Jahr lang dauerte dieses ziel- und planlose Verhältnis an. Nur einmal hatten sich ihre Hände berührt - an dem Tag, als er eine neue Platte auflegen und sie die Nadel wechseln wollte. Es war ein elektrisierendes Gefühl gewesen, so, wie wenn man den Kontakt in dem Kasten herstellt, mit dem man Sprengungen zündet.
An einem überraschend warmen Tag im Januar 1936 fuhr Henry Garrett wieder einmal in die Stadt, und als Soledad den Wagen vorbeikommen hörte, reagierte sie anders als bisher. Als er auf der Rückfahrt anhielt, um eine Erfrischung zu sich zu nehmen, sagte ihm sein erster Blick, daß sie nicht da war. Er trank sein Coke und hörte sich die »Ballade von Pancho Villa« an, deren Text er schon bald auswendig kannte. Enttäuscht, daß er das Mädchen nicht angetroffen hatte, stieg er wieder in seinen Wagen.
Er war erst ein kurzes Stück gefahren, als er Soledad an der Straße stehen sah. Er bremste ab und stieß die Tür auf, und sie sprang herein. Ungestüm schlang sie ihre Arme um seinen Hals und flüsterte ihm zu: »Da drüben. Die Straße hinunter.«
Sie schlugen einen Weg ein, der zu einem gebrochenen Damm führte, der früher einmal die Wasser des Beaver Creek gesammelt hatte. Als der Wagen vor einem sumpfigen Gelände, das von vielen Vögeln bevölkert war, zum Stehen kam, umarmte sie ihn und küßte ihn leidenschaftlich. Einige Zeit saßen sie da, gaben den hoffnungslosen Gefühlen nach, die sie bewegten, und sahen den Schwarzdrosseln zu, die sich so geschickt auf den Spitzen längst abgestorbener Binsen niederließen. Sie sprachen über ihre Lage, ohne etwas zu beschönigen oder eitlen Hoffnungen nachzujagen, und bestätigten einander, wie gefährlich das Spiel war, auf das sie sich eingelassen hatten. »Mein Bruder könnte sich genötigt sehen, dich zu töten«, sagte sie. »Du weißt ja, daß das in Mexiko so Brauch ist.«
»Ich habe keine Angst vor deinem Bruder«, antwortete er. Und dann kam die Frage, die einen Mann, der in ein Mädchen verliebt ist, das er nicht heiraten kann, so entsetzlich quält: »Wie kommt es, daß du noch nicht verheiratet bist?«
»Ich habe gewartet«, antwortete sie, ohne sich auf eine nähere Erklärung einzulassen.
Sie trafen sich an entlegenen Orten, und als Ruth Mercy Garrett einmal in Denver war, gelang es Henry tatsächlich, Soledad in das Schloß hineinzuschmuggeln. Dort machten sie einander nichts mehr vor. Von stürmischer Leidenschaft erfaßt, warfen sie ihre Kleider von sich und stürzten auf eine alte Decke aus Büffelfell, die Oliver Seccombe ins Haus gebracht hatte.
Zwei Stunden lang liebten sie sich, und als sie in der Hoffnung, daß keiner sie gesehen hatte, heimlich wieder das Schloß verließen, waren ihrer beider Leben untrennbar ineinander verstrickt. Wenn Garrett jetzt in die Cantina kam und sie dort nicht antraf, versuchte er gar nicht mehr, seine tiefe Enttäuschung zu verbergen. Immer wieder spielten sie gewisse Platten, vor allem aber »Sorian las Dos«, das Lied von den Mädchen, denen es nicht mehr genügte, nur Pfannkuchen zu essen.
So entdeckte Henry Garrett als erster Anglo, daß die Mexikaner ihre eigenen, leicht zu begreifenden, unveränderlichen
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