Colorado Saga
heranpirschte, und er wäre dem Raubtier zum Opfer gefallen, hätte seine Gefährtin ihn nicht energisch in den Fluchttunnel geschubst.
In jenem Jahr gab es kein Hochwasser.
Im Frühherbst jedoch, als die Wintervorräte längst eingebracht waren und die Burg so fest stand wie nie zuvor, wanderte sie eines Tages zufällig durch den
Tunnel in die Geheimhöhle hinüber, an der die Familie so viel Freude gehabt hatte, und fand ihn dort auf der Kalksteinbank - tot. Sanft stieß sie ihn mit der Nase an, denn sie dachte, er sei eingeschlafen. Dann beschnüffelte sie ihn liebevoll, um ihn für den gemeinsamen Abendausflug durch den See zu wecken, den sie so oft gebaut und wieder aufgebaut hatten, aber er reagierte nicht. Lange, sehr lange blieb sie bei ihm, ohne die Bedeutung des Todes ganz zu verstehen und nicht bereit, zu akzeptieren, daß dies das Ende ihrer langen Partnerschaft war. Schließlich trugen die Kinder den Toten davon, denn er war zu nichts mehr nütze, während sie sich automatisch auf die Suche nach Nahrung begab. Vage ahnte sie, daß es von nun an keine Babys mehr gab, daß keine jungen Biber mehr in der Kalksteinhöhle spielen und durch die Tunnels jagen würden.
Sie verließ den Schutz der Burg, schwamm an alle vier Ecken ihres Reiches und zu den auffallendsten Punkten dazwischen, nahm überall eine Handvoll Schlamm, vermischte ihn mit Grashalmen, knetete eine reichliche Portion Castoreum hinein und schwamm, als das getan war, in die Seemitte zurück, um die Nase witternd in die Nachtluft zu heben.
Dies hier war ihr Zuhause, und nichts konnte sie von hier vertreiben - weder Einsamkeit noch angreifende Otter, weder beutegierige Wölfe noch Flutwellen vom Fluß. Denn das Zuhause eines jeden Lebewesens ist wichtig, sowohl für das Leben selbst als auch für die größere Gemeinschaft, dessen Mitglied es ist.
Der Diplodocus hatte sich in Colorado entwickelt und war ausgestorben. Das Pferd hatte sich hier entwickelt und dann das Gebiet verlassen. Der Bison war in einem anderen Land entstanden und nach Colorado gekommen. Der Biber stammte von hier, war aber emigriert. Gab es überhaupt keinen Bewohner, der in Colorado seinen Ursprung hatte und auch in Colorado blieb? Es gab ihn: die wohl gefährlichste Kreatur, die heutzutage auf unserer Erde lebt.
An einem heißen Sommertag schwebte ein Adler träge am Himmel und beobachtete eine Bisonherde, die den Schatten der Zwillingssäulen verließ, um sich zum Rendezvous am anderen Ende des North Platte zu begeben. Desinteressiert sah der Adler zu, wie die riesigen Tiere eines nach dem anderen dahinwanderten, denn er versprach sich keinen Vorteil von diesem Herdenzug: Diese Tiere produzierten ja doch nichts weiter als Staub.
Während jedoch die Bisons nach Norden zogen, fiel dem Adler auf, daß an einer bestimmten Stelle sogar die stärksten Bullen ein wenig zur Seite scheuten. Diese Stelle zu untersuchen, lohnte sich eher, also hielt er sich noch eine Weile auf der Stelle, um den Punkt im Auge zu behalten, und fuhr dann fort, träge zu kreisen, bis die Herde vorüber war.
Kaum hatte der letzte Nachzügler die Stelle passiert, dabei wie die anderen zur Seite weichend, schoß er wie ein Pfeil vom Himmel herab und stellte mit Genugtuung fest, daß seine Vermutung richtig gewesen war. Unter ihm im Staub, dicht neben einem Felsbrocken, gab es Nahrung. Mit gesteigerter Geschwindigkeit stieß er hinab, bis er mit den Schwingen fast den Sandboden berührte. Im letzten Augenblick erst streckte er die Klauen aus und packte das Ding, das er von oben erspäht hatte: eine riesengroße Klapperschlange, fast zwei Meter lang und in der Mitte ungewöhnlich dick. Sie hatte einen flachen, dreieckigen Kopf und an ihrem Schwanzende eine Reihe von neun Hornringen.
Aber der Adler hatte sich verkalkuliert, denn seine Klauen schlugen nicht alle in die Schlange, sondern er erwischte sie nur mit einer Klaue des rechten Fußes, und zwar ziemlich weit unten beim Schwanz, so daß sein Plan, die Schlange hoch in die Luft hinaufzutragen und sie von dort aus auf die Felsen zu werfen, um sie auf diese Art zu töten, fehlschlug. Die Schlange konnte sich mit einer kraftvollen Wendung ihres Körpers befreien und sich, in Erwartung des nächsten Angriffs, trotz ihrer tiefen, blutenden Wunde in Abwehrstellung zusammenrollen.
Da nun kein Überraschungsangriff mehr möglich war, landete der Adler, mit Füßen und Schwingen Staub aufwirbelnd, in einiger Entfernung und näherte sich der Schlange mit
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