Colorado Saga
nicht her! Ihr Bruder sorgt ja nicht einmal für das Tier, das ihr ihm überlassen habt.«
»Es gehört sich«, entgegnete der älteste Häuptling, »daß ein Mann heiratet, wie es üblich ist, und wir haben den Brüdern unserer Bräute seit eh und je Geschenke gemacht. Ein Pferd ist ein angemessenes Geschenk für eine solche Gelegenheit. Du mußt deines an den Bruder von Blaues Blatt abgeben.«
Kaum hatte er diesen endgültigen Urteilsspruch vernommen, rannte der Lahme Biber aus dem RatsTipi, sprang auf seinen Schecken und jagte aus dem Dorf hinaus in südlicher Richtung dem Platte zu. Pappelknie folgte ihm auf einem braunen Pony, und als der Lahme Biber seinen Schecken ins Wasser treiben wollte, holte ihn sein Verfolger ein.
»Komm zurück!« rief Pappelknie ihm freundschaftlich zu. »Du und ich, wir können noch viele Pferde fangen!«
»Aber keines, das so ist wie dieses«, antwortete der Lahme Biber voll Bitterkeit. Zuletzt aber saß er dann doch ab und duldete, daß Pappelknie den Schecken seinem neuen Besitzer zuführte. Als der Lahme Biber am Flußufer stand und seinem davontrabenden Schecken nachsah, überkam ihn eine unendliche Trauer, und er wanderte fünf Tage lang allein umher. Zuletzt kehrte er ins Lager zurück, wo Pappelknie und Rote Nase ihn vor den Ältestenrat führten, und die Ältesten sagten zu ihm: »Wir haben dem Bruder von Blaues Blatt befohlen, sie dir zur Frau zu geben. Nimm sie, sie ist jetzt dein Weib.« Stille senkte sich herab, dann erschien der Bruder von Blaues Blatt und führte seine schöne Schwester an der Hand. Befangen stand sie vor den Häuptlingen, dann sah sie den Lahmen Biber zwischen seinen zwei Freunden stehen. Langsam kam sie auf ihn zu, bot sich ihm mit ausgestreckten Händen dar. Nur wenige junge Ehemänner haben eine so liebliche junge Frau mit so zwiespältigen Gefühlen entgegengenommen.
Der Lahme Biber hielt nunmehr Einzug in eine ihm vollkommen fremde Welt, die Welt des verheirateten Mannes, wo strenge Regeln das Verhalten eines jeden bestimmten. So durfte er zum Beispiel nicht mit der Mutter seiner Frau sprechen; das war ihm so lange allerstrengstens verboten, als er ihr noch kein bedeutendes Geschenk gemacht hatte. Wenn seine Frau ihre Monatsperiode hatte, mußte sie mit anderen, ebenfalls davon betroffenen Frauen in einer abgesonderten Hütte leben und durfte während ihres Aufenthaltes dort weder mit einem Mann noch mit einem Kind sprechen, weil sie sonst Unheil über diese gebracht hätte. Tröstlicher Ausgleich dafür war die Tatsache, daß er mit seiner Heirat in die herzliche, allumfassende Gemeinschaft des Indianerdorfes aufgenommen wurde, in der jeder einzelne drei bis vier Väter und ebenso viele Mütter hatte, in der alle Kinder allen gehörten, wo die Erziehung und Ausbildung der jungen Menschen eine Verantwortung war, in die sich alle teilten, und wo es weder Strafen noch harte Worte gab.
Es war eine Gemeinschaft, in der jedes Mitglied weitgehend das tat, was es wollte, in der die Männer, die sich Häuptlinge nannten, ihr Amt nicht ererbt, sondern mit Zustimmung ihrer Stammesgenossen übernommen hatten. Einen König gab es nicht, weder im Dorf noch für den Stamm, es gab lediglich den Ältestenrat, in den jeder aufrechte Krieger durch mündliche Abstimmung gewählt werden konnte. Es war eine der freiesten Gesellschaftsformen, die jemals erdacht worden waren, eingeschränkt lediglich von dem Glauben an Mann-Oben, von dem Vertrauen auf das Flachrohr und den überkommenen Gebräuchen der Arapaho. Man lebte kommunal, aber ohne die starren Schranken des Kommunismus; es herrschte Freizügigkeit, ohne daß diese in Anarchie ausartete. Es war die ideale Gesellschaftsordnung für die Nomaden der Prärie, dort, wo das Land endlos weit und der Vorrat an Bisons unerschöpflich war.
Der Gedanke, bei der nächsten Bisonjagd zusammen mit den Frauen, die die Schlachterarbeit besorgten, zu Fuß an den Ort der Jagd gehen zu müssen, da er jetzt kein Pferd mehr hatte, quälte den Lahmen Biber sehr, und mit Grimm mußte er zusehen, wie weit weniger gute Jäger als er, zum Beispiel sein Schwager, ihre Tiere für die Jagd sattelten. Blaues Blatt, die ihn beobachtete, wollte ihn trösten. »Wenn die Jagd vorüber ist, nimmst du dir zwei oder drei zuverlässige Begleiter, gehst in das Gebiet der Ute und holst dir von ihnen Pferde. Wenn du die Comanchen überlistet hast, kannst du die Ute auch überlisten.«
»Die haben ihre Pferde in den Bergen«, fuhr er sie an.
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