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Colorado Saga

Titel: Colorado Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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dem jungen Mann in die Hände gaben. Ohne die geringste Kundgabe von Schmerz hob er den Schädel der Sonne entgegen, warf ihn anschließend auf den Boden und wartete, während die alten Männer das Ritual bei seinem Gefährten wiederholten.
    Nun sprangen die jungen Krieger mit einem Satz vorwärts. Die Riemen an den Spießen strafften sich. Die Bisonköpfe schleiften schwer durch den Sand, daß die Rückenmuskeln von den Spießen fast zerrissen wurden, und die Krieger tanzten, tanzten, tanzten.
    Der Lahme Biber, der sich für dieses geringe Opfer nicht gemeldet hatte, sah zu. Frauen stimmten Gesänge an, ältere Männer spornten die jüngeren an, und diese schleppten die Bisonschädel in einer Art Trance, der Schmerz längst durch Selbsthypnose betäubt, stundenlang hinter sich her. Endlich verfing sich das Horn eines Schädels in einem Beifußstrauch: Die Riemen spannten sich, und der Spieß wurde durch den Muskel gerissen. Der Mann brach zusammen.
    Am sechsten Tag war der Zeitpunkt für das Opfer des Lahmen Bibers gekommen. Er suchte Pappelknie auf, führte ihn zu der Stelle, an der Blaues Blatt diesen schrecklichen Augenblick erwartete, legte die Hand seines jungen Freundes in die seiner Frau und verkündete mit lauter Stimme: »Nimm sie. Gib ihr ein Kind. Dies soll mein erstes Opfer sein.« Dann trat er zurück, um zuzusehen, wie Pappelknie Blaues Blatt zu einem für diesen höchsten aller rituellen Zwecke abseits aufgerichteten Tipi führte. Lahmer Biber hatte sogar seine Frau geopfert, und das machte ihn der Qualen, die ihn erwarteten, würdig.
    Nunmehr wandte er sich seinen drei Vätern zu, denen er zwei scharfe Holzspieße und zwei sehr lange Riemen reichte. Sein ältester Vater trat einen Schritt vor, griff an das weiche Fleisch auf seiner Brust und tastete mit den Fingern, bis er den linken Brustmuskel seines Sohnes gefunden hatte. Er zog ihn straff, griff nach einem Spieß, bot ihn zeremoniell der Sonne dar und stieß ihn unter dem Muskel hindurch, bis seine beiden Enden herausstanden. Der zweite Vater tat das gleiche mit dem rechten Brustmuskel, während er seinem Sohn dabei in die Augen starrte und der jüngere Mann den Schmerz hinnahm, ohne zu zucken. Dann befestigten die Väter die Riemen an den Spießen und gaben den Zuschauenden ein Zeichen. Ein geschmeidiger junger Mann sprang vor, nahm die beiden freien Ende der Riemen und erkletterte einen Pfahl, der in der Mitte des Zeremonienplatzes stand. Hier führte er die Riemen durch einen tiefen Einschnitt in der Spitze des Pfahls und ließ die Enden frei herabfallen. Ehe er noch den Boden erreicht hatte, packten je acht starke Männer einen der Riemen und zogen den Lahmen Biber hoch in die Luft, bis er zweieinhalb Meter über dem Boden mit seinem ganzen Gewicht an den durch seine Brust gestoßenen Spießen hing.
    Bis dahin hatte der Lahme Biber keinen Laut ausgestoßen, nicht einmal, als ihn die Holzspieße durchbohrten; jetzt aber, als die Riemen festgebunden wurden und er mit seinem ganzen Gewicht daran hing, murmelte er: »Dies wird mich bestimmt zerreißen.« Aber die Muskeln hielten. Während der ersten Stunde, als die Sonne langsam dem Zenit entgegenstieg, verspürte er schreckliche Schmerzen und glaubte manchmal laut rufend verlangen zu müssen, daß man der Zeremonie ein Ende mache; doch als die Sonne im Mittag stand, erlebte er ein wahrhaft beseligendes Gefühl; es war, als wäre der Schmerz aufgrund seiner Tapferkeit von ihm genommen. Während der letzten vier Stunden befand er sich in einer Art Trance, fühlte sich mächtig und stark genug, jeglichem Feind gegenüberzutreten. In einem Zustand der Verzückung harrte er auch noch die letzte Stunde aus und sah die Sonne mit aufrichtiger Betrübnis untergehen und ihn von seinen Qualen erlösen.
    Seine Väter ließen ihn herab und lösten die Riemen. Behutsam zogen die sie Holzspieße heraus und rieben Salz und Asche in die klaffenden Wunden: sowohl um sie zu reinigen, als auch um die Wundnarben zu tätowieren, an denen der Lahme Biber für immer als ein außergewöhnlicher Mann seines Stammes zu erkennen sein würde.
    Am siebenten Tag ruhte sich der Lahme Biber in einem dafür bereitgestellten Tipi aus. Er hatte sehr
    hohes Fieber, und seine Glieder schmerzten so sehr, daß er sich kaum bewegen konnte, doch zwei alte Männer, die in    ihrer    Jugend die    gleiche    Qual
    durchgemacht hatten, wußten genau, wie man ihn pflegen mußte, damit er am achten Tag für die letzte Prüfung

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