Colours of Love - Entblößt: Roman (German Edition)
»Ich schreibe gleich noch ein Memo und schicke es Ihnen«, erkläre ich.
Sie hebt verwundert die Augenbrauen. »Wollten Sie denn heute nicht früher gehen?«
»Doch, schon. Aber das schaffe ich vorher noch.«
Ich lächle kurz und will wieder in mein Büro gehen, doch sie hält mich am Arm zurück.
»Wissen Sie, Grace, als ich damals hörte, dass Sie die Stelle bekommen sollen, war ich sehr … skeptisch. Ich wusste zu wenig über Sie und habe Ihnen die Aufgabe nicht wirklich zugetraut.«
Das ist ganz sicher eine höfliche Umschreibung von: Ich dachte, du bist das Flittchen vom Chef und hast dich hochgeschlafen, denke ich und seufze innerlich.
»Aber ich habe mich getäuscht«, fährt sie fort. »Sie haben eine enorm lösungsorientierte Denkweise und können vor allen Dingen sehr gut mit Menschen umgehen, zwei unglaublich wichtige Voraussetzungen für die Arbeit, die wir hier leisten.« Sie streicht mit der Hand, mit der sie mich festgehalten hat, kurz über meinen Oberarm. »Weiter so.«
Ich bin einen Moment lang sprachlos, deshalb kann ich ihr mein »Danke« nur noch hinterherrufen, denn sie ist schon wieder hinter ihrer Tür verschwunden, bevor ich reagieren kann. Nachdenklich gehe ich in mein Büro und setze mich an meinen Schreibtisch. Der andere Tisch, der meinem gegenübersteht, gehört Ruth Banning, einer netten Kollegin, die jedoch Anfang der Woche in Urlaub gegangen ist. Deshalb habe ich das Büro im Moment für mich allein.
Mit einem Seufzen rufe ich das Memo-Programm auf. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele meiner Kollegen auch denken, was Indira anfangs gedacht hat, und ihr Urteil über mich noch nicht revidiert haben. Für die ich nach wie vor die »Affäre« vom Chef bin, und die mir deshalb beruflich nichts zutrauen. Ziemlich viele, fürchte ich. Aber das ist nicht zu ändern. Deswegen werde ich diesen tollen Job und vor allem Jonathan nicht aufgeben. Es ist ja auch nicht so, dass mir diese Ablehnung offen entgegenschlägt. Die meisten sind freundlich zu mir, von einigen Ausnahmen mal abgesehen …
Mit einem Seufzen mache ich mich an das Memo und arbeite alles ab, was ich mir noch vorgenommen hatte. Als ich um kurz vor drei den Computer runterfahre und meine Sachen zusammenpacke, klingelt mein Handy. Es ist Sarah.
»Grace, sagst du bitte Jonathan, dass ihr mich doch nicht abholen müsst?« Sie klingt fröhlich, aber auch ein bisschen aufgeregt. »Ich bin schon auf Lockwood Manor.«
»Was?« Das kommt total überraschend. »Aber ich dachte, du wirst erst heute Nachmittag aus dem Krankenhaus entlassen.«
»Dafür war ich einfach zu unruhig. Vor dem Ball gibt es immer viel zu tun und vorzubereiten, und ich wollte Dad unterstützen. Deshalb hat der Arzt mich früher gehen lassen, und Alex hat mich hergefahren.«
Natürlich, denke ich lächelnd. Ich fand diese Lösung von Anfang an naheliegend und habe mich gewundert, warum Jonathan darauf bestanden hat, dass wir Sarah abholen. Aber das hat sich ja jetzt erledigt.
»Warum sagst du ihm das nicht selbst?«, erkundige ich mich, weil ich ahne, wie Jonathan das finden wird, und deshalb eigentlich nicht so gern der Überbringer der Nachricht sein möchte.
»Ich habe schon versucht, ihn zu erreichen. Aber er geht nicht an sein Handy. Und seine Sekretärin sagte, dass sie mich nicht durchstellen kann, weil er ein wichtiges Gespräch hat.«
»Komisch.« Irritiert schüttele ich den Kopf und frage mich, welches Gespräch so wichtig sein könnte, dass Jonathan deswegen sein Handy ignoriert – vor allem, wenn seine Schwester ihn anruft. Er geht eigentlich immer an sein Handy – wenn es nicht gerade im Esszimmer liegt und er selbst mit Blessuren im Bett.
»Sagst du’s ihm?«, drängt Sarah, die es offenbar eilig hat.
»Natürlich. Aber er wird nicht begeistert sein.« Ich seufze. »Du weißt doch, wie er es hasst, wenn man seine Pläne durcheinanderbringt.«
Sarah kichert. »Das verkraftet er schon. Bis nachher dann.« Sie verabschiedet sich und legt auf, lässt mich schmunzelnd und ein bisschen nachdenklich zurück.
Natürlich verkraftet Jonathan das, denke ich. Aber lieber wäre es mir trotzdem gewesen, wenn wir mit Sarah nach Lockwood Manor gefahren wären. Sie hätte ihn sicher abgelenkt, denn in den letzten Tagen war Jonathan ziemlich angespannt wegen dieser Veranstaltung.
Wenn es nur darum ginge, seinen Vater zu besuchen, dann würde er, glaube ich, nicht fahren. Aber der Wohltätigkeitsball war eine Idee von Lady Orla, die der Earl
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