Colours of Love - Entblößt: Roman (German Edition)
dem ersten Hahnenschrei geweckt, weil ich sie gleich nach Springfield fahren soll zu einer Freundin.«
Ich muss schmunzeln. Die Fahrten ins zweieinhalb Stunden entfernte Springfield sind bei uns in der Tat schon legendär, weil meine Großmutter jedes Mal ein furchtbares Theater veranstaltet, wenn sie die Farm für einen Tag verlassen muss – selbst wenn das freiwillig passiert. Früh aufstehen und alles noch mal durchgehen, was sie braucht und nicht vergessen darf, inklusive.
»Und wo ich sowieso schon mal wach war, musste ich an dich denken«, fährt Hope fort, »und daran, dass du dich schon die ganze Woche nicht gemeldet hast. Wenn es danach geht, dann hätte wohl eher ich davon ausgehen können, dass dir was passiert ist und nicht umgekehrt!« In ihrer Stimme schwingt nur gespielte Entrüstung mit, trotzdem habe ich sofort ein schlechtes Gewissen.
»Ich weiß, tut mir leid. Aber es war so unglaublich viel los, dass ich kaum Zeit hatte.«
Es stimmt, denke ich, als ich beim Fahrstuhl ankomme und die Anforderungstaste drücke. Seitdem ich mit Jonathan aus Irland zurück bin, sind die Wochen wie im Fluge vergangen und waren für mich extrem aufregend – in jeder Hinsicht. Deshalb hatte ich nicht mehr so regelmäßig Gelegenheit, mit Hope zu sprechen, wie sonst. Der Posten der Junior-Projektmanagerin, den ich vor über einem Monat übernommen habe, macht viel Spaß, ist aber auch anspruchsvoller, als ich dachte. Ich habe erst im Nachhinein richtig begriffen, wie unglaublich kompliziert das Hackney-Projekt ist, und ganz nebenbei muss ich ja auch noch für meine Abschlussprüfung lernen, für die jetzt ein Termin feststeht. Und dann ist da natürlich auch noch Jonathan …
Nach einem leisen Pling öffnen sich die Türen des Fahrstuhls, und ich steige ein, drücke die Taste für die achte Etage, in der die Planungsabteilung liegt.
»Eigentlich wollte ich dir ja auch nur noch mal sagen, wie sehr ich mich freue, dass du bald kommst, Grace«, sagt Hope. »Ich vermiss dich so«, fügt sie leise hinzu.
»Ich dich auch«, erwidere ich mit belegter Stimme, und für den kurzen Moment, den wir schweigen, bin ich mir der vielen Meilen, die mich von meiner Schwester trennen – und jetzt auch auf Dauer trennen werden – schmerzhaft bewusst. »Aber wir sehen uns ja ganz bald, es sind noch nicht einmal mehr drei Wochen.«
Ende Juli, also eigentlich genau zu der Zeit, zu der ich England – wenn alles nach Plan gelaufen wäre – wieder hätte verlassen sollen, fliege ich zurück nach Chicago, um an der Uni bei Professor White meinen Abschluss zu machen. Jonathan hatte recht, er war sofort bereit zu einer Sonderregelung, damit ich den Job bei Huntington Ventures antreten kann. Also werde ich mich, wenn ich wieder in Chicago bin, noch mal eine Woche lang intensiv vorbereiten, dann die mündlichen Prüfungen ablegen und anschließend nach London zurückkehren, um hier weiter zu arbeiten. Für die Examensarbeit bekomme ich dann – ausnahmsweise – eine Verlängerungsfrist und kann sie nachreichen, wenn sie fertig ist.
»Kommt Jonathan auch mit?« Hopes Stimme klingt hoffnungsvoll.
»Ich weiß nicht, er hat im Moment viel zu tun und dazu hat er noch nichts gesagt.« Erst jetzt, wo sie mich das fragt, fällt mir auf, dass wir darüber tatsächlich noch nicht gesprochen haben.
»Dann sag ihm, dass er mitkommen muss«, drängt Hope. »Ich will den Mann, der es geschafft hat, meine Schwester nach England zu entführen, endlich persönlich kennenlernen.«
Ich grinse. »Das wirst du sicher noch. Und vielleicht klappt es ja, und er kann mich begleiten.«
Insgeheim hoffe ich es selbst sehr, denn der Gedanke, mich von Jonathan trennen zu müssen, macht mir immer noch Angst, selbst wenn ich jetzt weiß, dass es nur für eine kurze Zeit ist und dass ich wieder zurückkomme. Zum Glück musste ich das bis jetzt auch nicht erleben, denn seit wir aus Irland zurück sind, waren wir fast nur noch zusammen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte ich in das Büro direkt neben seinem ziehen können, um von dort aus zu arbeiten, aber ich habe ihm klar gemacht, dass das auf keinen Fall geht. Es wird schwer genug werden, die Leute davon zu überzeugen, dass ich den Job nicht nur bekommen habe, weil ich mit dem Chef liiert bin, sondern weil ich was kann. Deshalb habe ich Wert darauf gelegt, in die Planungsabteilung integriert zu sein, so, wie es die Stelle vorsieht. Ich habe ihn auch gebeten, mich dort möglichst nicht zu besuchen,
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