Colours of Love - Entblößt: Roman (German Edition)
seiner Mutter.
Als er mich hört, dreht er den Kopf und sieht mich an. Er wirkt tief in Gedanken versunken, und selbst nachdem er mich erkannt hat, bleibt sein Gesicht ernst.
»Du bist schon auf?«, frage ich und bereue es sofort, als er nur eine Augenbraue hebt. Dumme Frage. Schon klar.
Ich trete noch einen Schritt weiter ins Zimmer in der Hoffnung, dass er mir entgegenkommt, den Arm ausstreckt oder mir auf irgendeine andere Weise zu verstehen gibt, dass es okay ist, wenn ich zu ihm gehe.
Doch er bleibt stehen, wo er ist, die Arme vor der Brust verschränkt und mit diesem Ausdruck auf dem Gesicht, der mir sehr deutlich sagt, dass er genau das gerade nicht will. Deshalb traue ich mich nicht weiter.
»Was machst du hier?«
Er zuckt mit den Schultern und verlagert das Gewicht von einem Bein auf das andere, ohne seinen Rücken vom Türrahmen zu lösen. »Ich konnte nicht schlafen.«
Die Antwort ist so eindeutig abwehrend, dass verzweifelte Wut in mir aufsteigt. Wieso ist er auf einmal so? Gestern Nacht haben wir uns noch geliebt, da waren wir uns wieder nah, so wie nachmittags im Park. Ich durfte sogar in seinen Armen einschlafen. Aber es ist fast so, als wäre ihm das zu viel Nähe gewesen, als müsste er mich gerade deswegen plötzlich auf Abstand halten.
»Was ist denn los?«, frage ich unglücklich. »Habe ich …«, ich zögere, »… habe ich irgendwas falsch gemacht?«
Jonathan schüttelt den Kopf und sieht einen Moment lang zurück auf das große Porträt, bevor er den Blick wieder auf mich richtet.
»Nein«, sagt er und der Ausdruck in seinen blauen Augen scheint hinzuzufügen: Aber ich vielleicht .
Wieder spüre ich die Eisfaust, und diesmal drückt sie richtig fest zu, nimmt mir den Atem.
»Jonathan …«
»Geh dich lieber anziehen, bevor dich jemand so sieht«, sagt er und deutet auf meinen Morgenmantel. Es ist eine klare Anweisung und zwischen den Zeilen ein genauso klarer Rauswurf. Ich soll wieder gehen.
Ein Gefühl der Hilflosigkeit überkommt mich, dicht gefolgt von Wut, eben weil ich so schrecklich hilflos bin. Ich weiß genau, dass es gerade um uns geht, um unsere Beziehung, die er plötzlich wieder in Frage zu stellen scheint, aber ich kenne immer noch nicht den Grund dafür und er lässt mir auch keine Chance, ihn herauszufinden, weil er offenbar nicht reden will. Oder kann.
Für einen Moment bin ich versucht, mich mit ihm anzulegen, aber dann tue ich es doch nicht, weil da noch etwas in seinen Augen ist, das mich davon abhält. Etwas quält ihn, und obwohl ich mich über sein kühles, abweisendes Verhalten ärgere, will ich ihm helfen. Und das kann ich im Moment offenbar nur, wenn ich ihn in Ruhe lasse und ihm Zeit gebe, das mit sich selbst abzumachen.
Außerdem fühle ich mich in meinem dünnen Nachthemd tatsächlich ziemlich schutzlos.
»Okay«, sage ich und registriere den überraschten Ausdruck in seinen Augen. Offenbar hat er mit meinem Widerstand gerechnet. Aber ob er enttäuscht oder erleichtert ist, lässt er mich nicht sehen, denn er wendet den Blick wieder ab und betrachtet weiter das Porträt im Arbeitszimmer.
Ohne ein weiteres Wort drehe ich mich um und laufe durch den Flur und die Treppe hinauf. Unten begegnet mir diesmal niemand, obwohl ich Stimmen höre, aber oben kommt Mrs Hastings gerade mit dem jetzt leeren Wäschekorb aus einem Zimmer.
Ich sehe, dass sie mich etwas fragen will, wahrscheinlich, ob ich Jonathan gefunden habe, aber ich lächle sie nur kurz an und husche so schnell an ihr vorbei zurück in mein Zimmer, dass sie keine Chance hat, mich anzusprechen. Außer Atem, weil ich den ganzen Weg fast gerannt bin, lehne ich mich gegen die Tür.
Bis jetzt war der Besuch in Lockwood Manor eine ziemliche Katastrophe, denke ich und fühle mich ganz elend. Und wenn Jonathan es schon um sechs Uhr morgens schafft, mich zur Verzweiflung zu bringen, dann möchte ich lieber nicht wissen, was dieser Tag noch alles für mich bereithält.
15
Es ist genau wie gestern Abend, nur schlimmer, denke ich, als ich einige Stunden später erneut in einem der beiden Festzelte stehe und dem Streicherquartett lausche, das in einer Ecke auf einer kleinen Bühne sitzt und klassische Musik für die Gäste der Teeparty spielt, die in vollem Gange ist.
Jetzt weiß ich auch, was Sarah damit meinte, dass es heute erst richtig losgeht mit den Feierlichkeiten, denn statt der dreißig Leute, die gestern bei dem Empfang waren, sind es jetzt mindestens dreihundert. Das ganze Dorf scheint nach
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