Colours of Love - Entblößt: Roman (German Edition)
meiner Vermutung, dass Sie weit mehr sind als seine Assistentin?«
Ich hebe die Augenbrauen. Darauf erwartet er hoffentlich keine Antwort, denke ich, einigermaßen entsetzt, und bin sehr froh, dass in diesem Moment ein Mann zu unserer Gruppe tritt, der sofort die Aufmerksamkeit auf sich zieht und mich aus dem Fokus entlässt.
»Henry, da bist du ja!« Richard legt dem Mann, der in Jonathans Alter sein muss, strahlend die Hand auf die Schulter. »Grace, darf ich Ihnen meinen Neffen Henry Stainthorpe vorstellen. Sie werden sich sicher mit ihm verstehen, denn er hat im Moment viel mit Amerika zu tun, nicht wahr, Henry?«
Bevor Richard weitersprechen kann, strecke ich meine Hand aus und übernehme den zweiten Teil der Vorstellung lieber selbst. Den Kommentar, den er zu meiner Person abgeben würde, wenn er seinem Neffen erläutert, wer ich bin, möchte ich nämlich gar nicht hören.
»Grace Lawson, freut mich«, sage ich lächelnd und sehe mir den Mann, der den sonst so zynischen Richard so stolz strahlen lässt, genauer an.
Er ist nicht besonders groß, aber er sieht gut aus mit seinen mittelblonden Haaren und den grünen Augen, die mich offen anblicken, während er mir die Hand schüttelt. Der graue Anzug, den er trägt, sitzt perfekt und betont seine sportliche Figur. Und da auch sein Lächeln richtig nett ist, wirkt er insgesamt sehr viel sympathischer und einnehmender als sein Onkel – was allerdings auch nicht wirklich schwer ist.
»Freut mich auch«, versichert er mir, und ich erkenne Interesse in seinem Blick. Offensichtlich findet er mich ebenso nett wie ich ihn.
Tiffany dagegen ist nicht besonders begeistert über die Ankunft des Mannes, der ihr vorhin schon ihren Richard abspenstig gemacht hat, das sieht man ihrer jetzt ausgesprochen säuerlichen Miene deutlich an.
»Ich möchte was trinken«, sagt sie zu Richard und ihr Schmollmund prägt sich aus, als er auf den Hinweis nicht reagiert. Dann fällt ihr immer noch suchender Blick – ich glaube, sie kann gar nicht anders, weil sie Angst hat, irgendjemanden oder irgendetwas zu verpassen – auf Jonathans Vater, der ganz in unserer Nähe steht. »Oh, und sieh doch, da vorn ist Arthur.« Sie zieht Richard am Ärmel. »Wir haben ihn noch gar nicht begrüßt.«
Im Gegensatz zu ihrem Getränkewunsch scheint der in diesem Fall die Notwendigkeit einzusehen, denn er nickt mir und seinem Neffen kurz zu und lässt sich dann von Tiffany zum Earl ziehen.
Sie nennt Lord Lockwood beim Vornamen, denke ich belustigt, während ich den beiden nachsehe. Ob ihm das wohl gefällt? Ich kann es mir nicht so richtig vorstellen, und seine Miene drückt auch keine wirkliche Begeisterung aus, als er sich jetzt mit Richard und ihr unterhält.
Mein Blick huscht kurz weiter nach rechts zu Jonathan, der aufgehört hat, mit den Frauen zu reden, und jetzt mit ernster Miene – und zum ersten Mal wirklich aufmerksam – zu mir herübersieht, aber dann widme ich mich wieder Henry Stainthorpe.
Jonathan hat sich die ganze Zeit nicht um mich gekümmert – und jetzt, wo ich endlich jemanden habe, der nicht total blöd ist und offensichtlich gerne mit mir reden will, kann er mich mal.
Ich lächle Richards unerwartet netten Neffen an und will etwas fragen, doch dazu setzt er im gleichen Moment auch an, deshalb verstummen wir beide wieder. Er streckt die Hand aus.
»Bitte«, sagt er und lässt mir den Vortritt.
»Wie hat Ihr Onkel das mit Amerika gemeint?«, will ich wissen. »Wieso haben Sie viel damit zu tun?«
»Das Medienunternehmen, für das ich arbeite, expandiert gerade nach Amerika, und ich leite die Fusionsgespräche. Deshalb verbringe ich derzeit sehr viel Zeit in New York und Boston«, erklärt er mir. »Wenn alles unter Dach und Fach ist, werde ich dann aller Voraussicht nach eine der beiden Dependancen dort übernehmen.«
Er sagt das mit einem gewissen Stolz in der Stimme, doch es klingt nicht angeberisch. Eher selbstbewusst.
»Dann wird Ihr Onkel Sie sicher vermissen – er scheint sehr stolz auf Sie zu sein.« Die Bemerkung, die ich im Nachhinein eigentlich ziemlich unangebracht finde, rutscht mir so raus, aber er scheint es mir nicht übel zu nehmen.
»Richard hat keine eigenen Kinder, deshalb verfolgt er meinen beruflichen Werdegang mit viel Interesse«, sagt er und grinst ein bisschen schief, was ich irgendwie süß und sehr sympathisch finde.
So kann man sich täuschen, denke ich. Einen solchen Verwandten hätte ich dem furchtbaren Richard definitiv nicht
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