Colours of Love - Entblößt: Roman (German Edition)
Geste mit der Hand. »Weil ich … weil ich dachte, dass es besser ist, wenn er mich hasst und nicht sich. Ich dachte, es hilft ihm.«
Verwirrt sehe ich ihn an. »Wie meinen Sie das?«
Der Earl sieht mich erschrocken an, offenbar hatte er nicht vor, das zu sagen, aber meine drängenden Nachfragen haben ihn dazu provoziert. Dann atmet er tief aus und sinkt ein wenig in sich zusammen. »Vergessen Sie es wieder, es ist nicht so wichtig.«
Oh nein, denke ich, kommt überhaupt nicht infrage. »Lord Lockwood, wenn ich mit Jonathan reden soll, dann will ich wissen, wie Sie das gemeint haben. Wieso sollte es Jonathan helfen, Sie zu hassen?«
Er sieht sich um, so als wollte er sich vergewissern, dass uns niemand hören kann. Aber es sind noch nicht so viele Gäste da, die Mittagszeit hat noch nicht begonnen, und wir sitzen abseits in einer Ecke, sind also völlig unter uns.
Er holt tief Luft. »Jonathan war dabei, an dem Abend, als meine Frau gestürzt ist.«
»Ich weiß. Sarah hat es mir erzählt«, erwidere ich, doch der Earl redet schon weiter, ganz versunken in die Erinnerung, die ihn sichtlich quält.
»Er hat mitbekommen, dass wir uns gestritten haben, und kam aus seinem Zimmer. Wir waren so vertieft in unseren Streit, dass wir ihn gar nicht bemerkt haben, erst, als er sich plötzlich zwischen uns drängte. Er wollte es nicht, er wollte uns nur trennen, hat gerufen, dass wir aufhören sollen. Orla hat sich erschrocken und einen Schritt nach hinten gemacht. Sie stand direkt am Treppenabsatz und verlor den Halt. Ich wollte nach ihr greifen, doch sie fiel.« Er schließt die Augen und schüttelt den Kopf, so als müsste er die Bilder vertreiben, die ihm auch nach den vielen Jahren noch so deutlich vor Augen stehen.
»Oh Gott.« Für einen Moment bekomme ich keine Luft und Tränen schießen in meine Augen. Wieder muss ich daran denken, was Sarah erzählt hat. Dass Jonathan sich an seine Mutter geklammert hat, als sie abgeholt wurde, und sie nicht loslassen wollte … »Er denkt, er ist schuld.«
Deshalb hasst er seinen Vater mit einer solchen Inbrunst – weil er jemanden braucht, den er verantwortlich machen kann. Und anstatt ihm zu erklären, dass es ein Unfall war, für den niemand etwas kann, hat der Earl Jonathan nicht nur physisch, sondern auch in dem Glauben allein gelassen, dass es bei dieser Sache tatsächlich um Schuld oder Nichtschuld geht.
Ich spüre hilflose Wut in mir aufsteigen und funkele den Earl zornig an. »Und Sie haben nie mit ihm darüber gesprochen?«
Er schüttelt den Kopf.
»Das hätten Sie tun müssen. Das hätten Sie schon vor Jahren mit ihm klären müssen!« Ich bin so entsetzt über dieses neue Wissen, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Doch dann sehe ich, wie unglücklich der Earl ist, und begreife, dass ihm diese Sache einfach über den Kopf gewachsen ist.
»Ich hatte seinen Hass doch verdient. Ich hasse mich selbst dafür, dass ich es nicht verhindern konnte. Jeden Tag.«
»Aber würde Ihre Frau wollen, dass Sie und Jonathan sich hassen?«
»Nein«, sagt er und richtet sich auf, schaut mir direkt in die Augen. »Glauben Sie mir, Grace, meine Frau hat mich ebenso geliebt wie ich sie. Jonathan war damals noch ein Kind, er hat einfach nicht verstanden, was zwischen seinen Eltern vorging. Wir haben uns oft gestritten, zu oft, das ist wahr, aber wir haben uns auch jedes Mal wieder ebenso leidenschaftlich miteinander versöhnt.« Er lächelt versonnen bei der Erinnerung, doch nur einen Moment später sieht er mich auf eine hilflose, flehende Weise an, die mich berührt. »Orla würde es ganz sicher nicht wollen, dass unser Sohn mich hasst. Aber ich weiß nicht, wie ich es ändern soll. Helfen Sie mir, Grace. Reden Sie mit ihm. Bitte.«
Ich nicke. Ich muss mit Jonathan reden, unbedingt sogar, aber nicht, um dem Earl einen Gefallen zu tun. Ich muss es für ihn tun – und für mich. Denn jetzt kenne ich endlich das ganze Ausmaß der Tragödie, die er aushalten musste, und habe eine Chance zu verstehen, wieso er so ist, wie er ist. Und das ändert alles.
Als hätte er das gehört, ruft Jonathan mich in diesem Moment auf dem Handy an.
»Du bist nicht in deinem Büro«, sagt er vorwurfsvoll. »Indira sagt, du hast deine Pause vorgezogen. Wo bist du?«
»Ich … musste was erledigen. Ich bin gleich zurück.«
»Dann kommst du sofort rauf zu mir«, weist er mich an, und mein Herz klopft, weil ich nicht deuten kann, ob es Sehnsucht ist, die ihn das sagen lässt, oder ob er
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