Colours of Love - Entblößt: Roman (German Edition)
seine Rolle als Sohn zurückfindet, dass er wieder den Platz einnimmt, an dem der Earl ihn so schmerzlich vermisst. Und die Tatsache, dass er im Moment wirklich dringend Hilfe braucht, scheint ihm Anlass genug, es noch einmal zu versuchen – auch wenn er sich selbst nicht mehr traut, diesen Versuch zu unternehmen. Erst wenn das scheitert, wird er sich ernsthaft Alternativen überlegen. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht ist ihm das Erbe seiner Familie dann wirklich egal.
»Werden Sie mir helfen, Grace?«, fragt er noch einmal eindringlich.
Unsicher kaue ich auf meiner Unterlippe. Eigentlich spricht der Earl mir aus der Seele, denn ich finde auch, dass Jonathan sich mit ihm aussprechen sollte. Nur hatte ich diese Diskussionen mit Jonathan in der letzten Woche schon mehrfach, und sie haben eigentlich immer gleich geendet: mit seiner Weigerung, weiter über seinen Vater zu sprechen. Er will nicht, sperrt sich gegen alles, was mit dem Earl zu tun hat, und nach unserem letzten Streit habe ich ihn drei Tage lang nicht gesehen. Jetzt ist er wieder da, aber ich stehe nach wie vor auf dünnem Eis mit ihm – und ich bin fast sicher, dass Jonathan sehr wütend auf mich wäre, wenn er wüsste, dass ich gerade mit seinem Vater über ihn rede.
»Ich glaube, Sie überschätzen meine Möglichkeiten«, sage ich schließlich, ein bisschen resigniert, doch das sieht der Earl anders. Er legt seine Hand auf meine.
»Nein, Grace, ich glaube, Sie unterschätzen eher Ihren Einfluss auf meinen Sohn. Auf Sie wird er hören, eher als auf irgendjemand anderen.«
Ich entziehe ihm meine Hand, nicht sicher, auf wessen Seite ich mich stellen soll. Denn so richtig verstehe ich das alles immer noch nicht, und bevor ich für den Earl Partei ergreife, wie er es von mir erwartet, und dadurch meine Beziehung zu Jonathan aufs Spiel setze, will ich erst mehr wissen über das, was zwischen den beiden passiert ist.
»Wenn ich es tue, dann müssen Sie mir zuerst ein paar Fragen beantworten«, sage ich.
»Was wollen Sie wissen?«
»Jonathan sagt, dass Sie ihn nicht unterstützt haben, als er Huntington Ventures gründen wollte, und dass Sie ihm damals sogar Steine in den Weg gelegt haben. Stimmt das?«
Der Earl seufzt. »Ich habe ihm keine Steine in den Weg gelegt, ich habe lediglich ein paar Freunde von mir angerufen, die auf ihn einwirken sollten, damit er diese Idee aufgibt. Was er natürlich nicht getan hat.«
»Aber warum?«, frage ich nach. »Warum wollten Sie nicht, dass er eine Firma gründet?«
Der Earl hebt einen Mundwinkel und lächelt reuevoll. »Weil ich nicht so viel Weitblick habe wie mein Sohn und weil ich in geschäftlichen Dingen nicht sein glückliches Händchen besitze. Als er damals mit der Idee kam, war meine finanzielle Lage angespannt. Ich hätte ihm nicht helfen können, wenn es schief gegangen wäre. Er war noch so jung, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er das wirklich auf die Beine stellen kann. Ich hatte Angst, dass er sich übernimmt.« Er schließt kurz die Augen, und auf seinem Gesicht erscheint ein schmerzvoller Ausdruck. »Dabei hätte ich wissen müssen, dass er es hinkriegt. Jonathan hat die leidenschaftliche Entschlossenheit seiner Mutter.«
»Er hat auch viel von Ihnen«, sage ich, und er lächelt, aber traurig.
»Ich schätze, das würde er leugnen.«
»Er würde es zumindest nicht gerne hören«, stimme ich ihm zu und sehe ihn nachdenklich an. »Wie konnten Sie zulassen, dass er Sie so hasst? Sie wussten doch, dass er Ihnen die Schuld am Tod Ihrer Frau gibt. Warum haben Sie nicht schon viel früher mit ihm darüber geredet?«
Der Earl wendet den Kopf ab und blickt aus dem Fenster, und als er mich wieder ansieht, ist die Verzweiflung in ihm dicht unter der Oberfläche. »Weil ich nicht konnte. Ich konnte nicht über den Unfall sprechen, jahrelang nicht«, sagt er. »Und dann wollte ich nicht mehr daran rühren, weil Jonathan auch geschwiegen hat. Ich dachte, so wird er besser damit fertig. Er hat sich aufgelehnt gegen mich, als er älter wurde, aber ich habe es auf seine Jugend geschoben, ich dachte, es sei normal. Erst, als er zu Yuuto nach Japan ging, wurde mir wirklich klar, wie sehr er mich ablehnt und warum.«
Ich schüttele den Kopf. »Aber als er Ihnen das erste Mal vorgeworfen hat, dass Sie für den Tod Ihrer Frau verantwortlich sind, hätten Sie das doch richtigstellen können. Wieso haben Sie das denn nicht gleich geklärt? Das begreife ich einfach nicht.«
Er macht eine hilflose
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