Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
Vom Netzwerk:
bewusst wurde, dass diese Geruchsfetzen nichts anderes waren als
Moleküle, die durch Nase und Mund in den Körper eindrangen und sich auf den
Geschmacksnerven niederließen.
    Mader drückte auf die Wahlwiederholung. Wir
hatten uns zwischen den Säcken postiert und warteten.
    „I believe I can fly“, direkt zu meinen Füßen
summte ein Sack vor sich hin. Ich trug ihn zu Schneiderhannes, der sein
Taschenmesser aufklappte und alles auf eine vorbereitete Plane schüttete.
Feinstrumpfhosen, ein anthrazitfarbenes Business-Jäckchen, schwarze Seidenbluse,
schwarze Unterwäsche und das Handy: sechs Anrufe in Abwesenheit. Ich erkannte
die Sachen sofort.
    Die Spurensicherung stopfte jedes Teil einzeln
in einen Beutel und machte sich auf den Weg. Morgen gäbe es die Fingerabdrücke,
was sonst noch möglich sei, würde sich zeigen.
    Schneiderhannes hatte sich den Beutel mit dem Slip
gegriffen.
    „Nehm ich mit, DNA Vergleich. Ihr fahrt mich am
Labor vorbei.“
    Noch dreißig Minuten, dann sollten wir bei
Martens Rapport erstatten. Mader pflanzte das Blaulicht aufs Dach und raste
Richtung Stadtmitte.

39
    Pünktlich standen wir vor Martens´ Büro, doch
es war verwaist. Zehn Minuten schiebt man auf den Verkehr, zwanzig Minuten auf
dringende Geschäfte, bei dreißig Minuten geht es nur noch um Macht.
    Endlich kam er und hob entschuldigend die
Hände, rückte die Brille zurecht und beugte sich zuerst über seine Umlaufakten.
Mader verschwand kurz, ich begann die Sekunden zu zählen und wettete mit mir,
dass er nahezu fünf Minuten emsig arbeiten würde, um uns dann seine ungeteilte Aufmerksamkeit
zuteilwerden zu lassen. Irrtum, erst sechs Minuten später schob er den Stapel
beiseite, verschränkte die Finger ineinander, drückte sie durch, dass es
knackte, und sah uns erwartungsvoll an: „Dann wollen wir mal.“
    Mader legte einen Aktendeckel auf die
Tischkante. Ich fragte mich, ob sie jetzt nicht zu weit ging, was sollte da
drin sein. Doch Martens nahm keine Notiz davon.
    „Machen Sie es kurz.“
    Sie hatte ihn durchschaut und verzog keine
Miene. Also skizzierte ich kurz, was wir hatten, ohne auch nur ein Wort über
Lily zu verlieren, das ihn irritieren könnte.
    Als ich fertig war, presste er die Lippen
aufeinander und schüttelte den Kopf.
    „Tolle Geschichte. Ein Doppelmord also. Und im
Mittelpunkt steht das Four Palms . Weil wir das Funktelefon einer
englischen Firma geortet und gefunden haben.“
    „Ich sehe, wir sind uns einig. Und das Motiv
finden wir auch noch.“, warf Mader trocken ein.
    Er nahm seine Brille ab, kniff die Augen
zusammen: „Oh, ich vergaß, das fehlt uns ja. Und alles für eine Nutte aus Polen
oder Kiew oder sonst woher und eine zweite von der Kurfürstenstraße. Wissen Sie
eigentlich, wie unsere wirklichen Probleme aussehen? Kriminelle Jugendbanden,
die Neukölln alle zwei Wochen neue Schlagzeilen bescheren. Schüler, die ihre
Lehrer verprügeln. Rentner, die von osteuropäischen Banden abgezockt werden.
Sie sollten mal Zeitung lesen! Das treibt die Leute um, davor haben sie Angst.
Zwei tote Nutten, das ist heute geschrieben, morgen gelesen und übermorgen
vergessen. Und wo ist eigentlich Hanschke, denkt der, ich hab den ganzen Tag Zeit?
Der wollte längst hier sein.“
    Mader griff nach ihrem Handy, kurz darauf
meldete sich der Staatsanwalt. Sie hörte zu, nickte und legte auf.
    „Er steht am Cotti, kann nur aus der
Beifahrertür aussteigen, weil ein albanischer Taxifahrer ihm gerade die Fahrertür
eingedrückt hat. Er braucht noch zwanzig Minuten.“
    Martens schnaufte und widmete sich wieder seinem
Aktenstapel. Irgendwer hatte ein Problem und das war nach dem langen Weg durch
die Instanzen jetzt bei Martens gelandet, eine andere Erklärung fand ich nicht
für seinen absurden Auftritt. Wäre schön zu wissen, wer da wieder einen bösen
Wählerbrief bekommen hat.
    Mader ließ ihre Zehen kreisen, ich kämpfte mit
einem Sudoku – einfach – und verlor. Endlich klopfte es.
    Hanschke gehörte nicht zu den Aufgeregten. Er
war seit 20 Jahren im Geschäft und hatte vor allem eins gelernt: zuzuhören. Wer
ihn nicht kannte, verfiel schnell dem Irrglauben, der kahlköpfige,
zurückhaltende und uneitle Mann, der kaum eins siebzig maß, sei ein leichter
Gegner. Zumal er den Blick beständig nach unten richtete und nicht ging, sondern
immer zu huschen schien, so als wäre er auf der Flucht. Doch wenn einer zum Kerben
zählen etwas Zeit brauchte, dann war es Hanschke. Er hatte Senatoren gestürzt
und

Weitere Kostenlose Bücher