Coltan
komplette Abteilungen der Bauverwaltung aufgemischt, damals als die eingeschlossene
Stadt noch von größenwahnsinnigen Bauunternehmern regiert wurde, die fanden,
dass Abgeordnete zwar zum guten Ton gehörten – aber auch ein dauerndes Ärgernis
darstellten, dem nur selten mit guten Worten, immer jedoch mit Geld allerdings beizukommen
war. Und so erfreute sich jeder betriebsbereite Betonmischer über Jahre hinweg
der Unterstützung fast eines jeden, der in dieser Stadt etwas zu sagen hatte
oder auch nur dachte, dass ihm jemand zuhören würde. Mehrere Versuche, Hanschke
aus der Abteilung für Korruptionsermittlungen zu vertreiben, waren gescheitert,
bis er selber zu der Überzeugung kam, sieben Jahre seien genug. Nach einem, wie
er es nannte, Intermezzo bei den Außenwirtschaftsdelikten, das ebenfalls sieben
Jahre währte, wechselte er zu Mord und Totschlag.
Und auch hier traf er immer wieder auf
Menschen, die ihrem ersten Eindruck zum Opfer fielen, weil sie dachten, jede ernsthafte
Auseinandersetzung mit ihm sei reine Zeitverschwendung. Ein meist folgenschwerer
Irrtum.
Hanschke tupfte sich mit einem exakt auf Kante
gebügelten Taschentuch die Stirn.
„Wirtschaftlicher Totalschaden, 12 Jahre alt
der Wagen. Die ganze Seite ist hin.“
„Albaner! Sag ich doch!“ Martens sah
triumphierend zu Mader, die noch immer mit ihren Zehenspitzen beschäftigt war.
Bevor er mich ins Visier nahm, besann er sich jedoch und begann fein säuberlich
zu repetieren, was wir ihm zuvor mitgeteilt hatten. Nicht ohne als leitender Beamter
hin und wieder „ICH“ zu sagen. Schließlich war er ja der Chef der Ermittler.
Hanschke hörte schweigend zu und beobachtete
mich verstohlen. Ich ergänzte einige Details und offene Fragen. Hanschke nickte
stumm vor sich hin. Nach etwa fünf Minuten war alles gesagt.
„Gut. Morgen haben Sie, was Sie brauchen. Beschlagnahme
aller Aufzeichnungen der Überwachungskameras. Wie sieht es mit einem Motiv
aus?“
Ich hob entschuldigend die Hände.
„War mir ein Vergnügen. Wir hören voneinander.“
Noch während er sich erhob und eine leichte
Verbeugung in die Runde andeutete, schob sich sein linker Fuß nach vorn, um das
gewohnte Huschen in Gang zu setzen. Keine zwei Sekunden später war er durch die
Tür geschlüpft, mit hängendem Kopf und eingezogenen Schultern.
Martens sah ihm verdutzt nach: „Und darauf habe
ich jetzt gewartet!“ Er hielt inne, griff sein Jackett und ging „Feierabend“
murmelnd hinter dem Staatsanwalt her.
40
Zuerst sah ich nur eine Hand, die energisch aus
der offenen Beifahrertür eines alten Omegas winkte. Dann erschein Hanschkes
Kopf: „Na los, kommen Sie schon, fahren tut er noch.“
Ich rutschte neben ihn und erlebte einen der
aufregendsten Momente des Tages. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, drückte
Hanschke auch schon das Gaspedal durch.
„Wir sollten uns mal ein Bierchen genehmigen.“
Er lächelte mich an und jagte, in kurzen Schwüngen die Spur wechselnd, den
Mehringdamm hinunter.
Ich suchte den Sicherheitsgurt.
„Nette Kollegin, quatscht nicht.“
Hanschke hatte inzwischen bei Rot die
Gneisenaustraße überfahren und bog jetzt scharf nach rechts ab. Die Tachonadel
pendelte fröhlich zwischen 40 und 80, je nach Beschaffenheit der Lücken. Ich wurde
unruhig, nicht nur wegen seines Fahrstils. Auch wenn wir uns seit Jahren
kannten, sprach nichts für ein ungezwungenes Bier nach Feierabend. Der
Staatsanwalt war auch nicht bekannt dafür, berufliche Kontakte in seiner karg
bemessene Freizeit zu pflegen.
Vier Minuten später standen wir am Erkelenzdamm
und der sonst so unaufgeregte Mann hatte bewiesen, dass er auch ohne Blaulicht
quasi „durchfahren“ konnte.
Wir setzten uns in den Vorgarten eines Lokals,
Hanschke ließ die Krawatte in der Innentasche seines grauen Jacketts
verschwinden, krempelte die Hemdsärmel auf und bestellte zwei Bier.
Wir waren am Rand von Klein-Istanbul. Die
großen Bäume links und rechts des ehemaligen Kanals gaben der Gegend etwas
parkartiges. Hier trennen Straßenzüge Nationalitäten. Das Gartenlokal etwa
befand sich im Gebiet einer fast verschwundenen Bevölkerungsgruppe, deren
Migrationshintergrund irgendwo im neunzehnten Jahrhundert lag. „Deutsche Küche“
hieß hier noch fette Soßen und schwere Braten und wirkte für manch einen wohl
wie eine rettende Insel inmitten eines Meers aus Pizza, Döner und Sushi.
Hanschke förderte ein Päckchen Zigarillos zutage,
kurz darauf hing eine große Rauchwolke über
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