Coltan
allein dem kommenden Sieg der
Weltrevolution verpflichtet, sondern auch dem fehlenden revolutionären
Nachwuchs im kapitalistischen Wirtschaftssystem. Kurz, er fickte auf seinen
Auslandsreisen mit einer jungen Französin und versorgte sie mit allem, was der
hiesige Goldmarkt so hergab: Ringe, Ketten, Armbänder, massiv aber hässlich und
im Westen als Kiloware gut absetzbar. Das allein war kein Problem, allein die
diskreten Nachforschungen ergaben, dass der angebliche Vater der sich slawophil
gebenden Studentin schwul und im Hauptberuf Mitarbeiter eines
Technologieunternehmens war, das sich mit dem Abhören der russischen
Satellitenverbindungen beschäftigte.
Kurzum, gefragt war eine einfache, unkomplizierte
Lösung eines mehr als komplexen Problems, die beim Gegner keinen Verdacht aufkommen
ließ.
Eine Routineuntersuchung vor der nächsten Dienstreise
stand an. Lermontow frisierte die Ergebnisse des Bluttestes und schon hatten
sie ihren ahnungslosen Auslandskader in eine Spezialklinik verfrachtet. Eine kleine
Spritze und nur wenige Minuten später begann der Genosse zu erzählen.
Eine kurze Nacht gekrönt von Kopfschmerzen. Dann
verstarb Nikolai Woroschin mitten in Paris ganz unerwartet an Herzversagen.
Gott hab ihn selig! Schieber waren ein Sicherheitsrisiko, erpressbar und
illoyal.
Tarnowski sah auf die Uhr. 30 Minuten, länger
würde er das Spiel nicht mitmachen.
Da schwang die massive Eichenholztür auf. Immer
noch ein Mann wie ein Baum, zu dem die feingliedrigen Hände so gar nicht passen
wollten. Lermontow breitete entschuldigend die Arme aus, auch wenn kein Patient
den Behandlungsraum verlassen hatte: „Die Kunden, sie gönnen mir keine Ruhe.“
„Zumindest aber ein gut gefülltes Bankkonto.“
Er hatte Tarnowski gerade an sich ziehen
wollen, hielt jetzt aber inne und trat einen halben Schritt zurück: „Bist Du
deshalb hier?“
Tarnowski zog ihn lächelnd an sich zum
Bruderkuss: „Glaubst Du, dass ich dann gewartet hätte?“
„Sicher nicht. Komm, was kann ich für Dich
tun?“
Die Tür fiel mit einem leichten Plopp ins
Schloss, sie waren allein. Tarnowski holte einen Scanner aus der Tasche: „Einen
Moment bitte?“
Lermontow verschränkte die Arme vor der Brust
und nickte. Viele Patienten vertrauen sich vorbehaltlos ihrem Arzt an. Intime
Beichten, an denen in bestimmten Kreisen reges Interesse bestand. Und Tarnowski
wollte sicher sein, dass nicht aus diesem Raum drang. Sein Rundgang dauerte nur
kurz, dann atmete er hörbar zufrieden aus: „ Man kann nicht vorsichtig genug
sein. Ich brauche Deinen medizinischen Rat.“
In der Ecke des großzügig bemessenen
Behandlungszimmers standen zwei alte, mit weichem Kalbsleder bezogene
Ohrensessel.
„Tee?“
„Gern.“
Tarnowski sah sich um. Stilvoll wäre
übertrieben. Aber zumindest wusste sein alter Kampfgenosse, was er seiner neuen
Klientel schuldig war: den Anschein von Gediegenheit und Bildung. Obwohl letztere
nie Lermontows Problem war, stellte er sie jetzt demonstrativ aus, gerade weil
ihm klar war, dass viele seiner Besucher kaum je eines der Bücher in die Hand
nehmen würden, geschweige denn den Autor kannten.
Die Schwester brachte einen fein ziselierten
silbernen Samowar und verschwand wieder.
Tarnowski holte eine Krankenakte aus der Tasche
und reichte sie dem Arzt. Lermontow setzte seine an einer silbernen Kette
hängende Brille auf und sah ihn erstaunt an: „Ein Deutscher?“
„Ja. Und sie werden ihn obduzieren.“
„Es soll schnell gehen?“
„Unerwartet, würde ich sagen. Wie das Leben so
spielt.“
Lermontow nahm einen Schluck und strich sich
mit der Hand über den kahl rasierten Schädel.
„Ein Virus?“
„Mitten in Berlin?“
„Eher nicht.“ Er studierte die Arztberichte: „Bypass,
Blutverdünner. Wir könnten was mit den Medikamenten machen. Ist aber unsicher.
Allergien?“
„Wenn nichts davon in der Akte steht?“
„Eine Lebensmittelvergiftung, immer gern
genommen. Allerdings nur, wenn er stundenlang von der Außenwelt abgeschnitten
ist.“
„Soll ich ihn zur Bärenjagd einladen?“
„Berlin, an jeder Straßenecke ein Krankenhaus?
Gib mir etwas Zeit.“ Lermontow erhob sich: „Morgen, sagen wir um vier?“
„Danke.“
92
Im Dezernat für Missbrauch herrschte
Hochbetrieb. Auf den Fluren stapelten sich beschlagnahmte Computer. Jetzt
verstand ich, warum sie uns so bereitwillig gewähren ließen:
Kinderpornographie. Ich fragte mich zum Abteilungsleiter durch.
Andreas Kramer, ein unauffälliger
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