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Coltan

Coltan

Titel: Coltan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivo Andress
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brauner Standardbriefumschlag, bereits
ordentlich in ein Beweismitteltütchen verpackt.
    Ich griff nach einem Paar Latexhandschuhe und bat
Mader um ihren Brieföffner: „Wem gehörte das Schließfach?“
    „Ihr ganz allein, seit zwei Jahren schon.“
    Ein weißes Blatt Papier, zweimal gefaltet. Oben
links ihre Adresse.
    In der Mitte des Blattes handschriftlich nur
eine Telefonnummer: „Tel. 030303128945“. Ich spürte Maders fragenden Blick und
wählte die Nummer der Auskunft.
    „Eine Anwaltskanzlei?“
    „Na, los, ruf an.“, Mader wurde ungeduldig.
    „Und was soll ich sagen?“
    „Frag nach dem Chef.“
    Sie kam um den Schreibtisch, wählte und hielt
mir den Hörer hin. Nach dem dritten Klingelzeichen meldete sich ein
Anrufbeantworter: „Sie rufen außerhalb der Geschäftszeiten an. Wir sind
urlaubsbedingt Montag, Dienstag und Donnerstag nur von neun bis dreizehn Uhr erreichbar.“
    „Das war´s dann für heute.“, ich legte auf. „Lass
uns zu George gehen. Mal sehen, wie weit er mit den Bildern ist.“
    Er war stolz auf sich, das sah man ihm schon
von weitem an. George hatte die Lehne nach hinten geklappt, die Füße auf dem
Schreibtisch abgelegt und betrachtete die Fotos. Als wir hinter ihm standen,
drehte er sich nicht einmal um, sondern hielt die Meisterwerke nur hoch: Greift
zu, wenn ihr wollt!
    Die Gesichter waren gestochen scharf. Mehrere
Ausdrucke auf dem teuren Fotopapier, wie er betonte.
    „Was ist der Kleinen passiert? Die ist schwer verprügelt
worden, oder?“
    Ich spürte seinen Ekel, auch wenn ich ihm nichts
von unserem Verdacht erzählt hatte.
    „Kriegt Ihr die Drecksau?“
    „Mit den Bildern bestimmt.“, antwortete Mader
und knuffte George aufmunternd auf den Oberarm.
    „Was ist mit den Videoaufzeichnungen, nachbearbeitet
oder?“
    „Ausgeschlossen. Wenn nicht, will ich den Typen
unbedingt kennenlernen, der das gemacht hat.“
    Mader machte sich auf den Weg zur
Vermisstenkartei, auf mich warteten die Kollegen vom Missbrauch mit ihren Opfer-Alben.

91
    Tarnowski blätterte in einer alten Vogue und schaute auf die Uhr. Zehn Minuten hatte die Schwester gesagt. Inzwischen
wartete er über eine viertel Stunde. Lermontow, zwanzig Jahre war das jetzt
her.
    Das Land hatte sich verändert oder auch nicht. Die
russische Weite hatte schon immer ihren Preis. Wer hier herrschen wollte,
musste Angst säen, wollte er Macht ernten. Seit Jahrhunderten schon. Insofern
hatte sich nichts verändert, auch wenn wir jetzt Mercedes und Porsche fuhren
und unsere Konten in der Schweiz oder in Liechtenstein versteckten. Die neue
Elite, wir sind noch mit den Methoden der alten Nomenklatura aufgewachsen.
    Wir waren, wir sind, wir werden sein, dachte Tarnowski.
Leute wie Lermontow und er, die allgegenwärtigen Schatten, die dieses Land im
Zaum hielten. Und wo blieb der Dank? Was wussten die schon in Berlin oder
London, was wollten sie?
    Tarnowski kannte seine Russen. Sie waren so
leicht zu durchschauen. Sie wollten sie spüren, die Macht, die ihnen Sicherheit
bot – oder selbst herrschen.
    Ganz anders als die Deutschen, die immer nach
Führung gierten, ohne sich selbst dafür hergeben zu wollen. Das schmutzige
Geschäft soll diskret und lautlos erledigt werden. Dafür holten sie jetzt sogar,
Tarnowski lächelte, Gastarbeiter wie ihn, hungrige Wölfe aus der russischen
Weite.
    Lermontow ließ ihn warten. Wie damals. Zwei
Jahre älter nur und schon Oberst. Zuständig für die medizinische Betreuung der
Inhaftierten und vor allem für das, was sie lapidar „angewandte Forschung“ nannten.
Ein Euphemismus. Er, Tarnowski, war für die Überwachung der Auslandskader
zuständig, und Lermontow lieferte die nötigen medizinischen Details, um alle
bei der Stange zu halten, unauffällig und immer auf den Ernstfall vorbereitet.
    Jetzt war er Chef einer kleinen Privatklinik, die
ganze Palette von faltenfreien Silikontitten, über pralle Ärsche, Stupsnasen
und neue Haare bis hin zu Fit-Machern und psychologischer Betreuung, wenn nichts
mehr da ist, das sich straffen lässt. Nebenbei regelmäßige Checks jenseits von
Darmkrebs und Prostata. Kaum ein Gift, das er nicht kannte. Vor allem mit den
schwer Nachweisbaren kannte er sich aus.
    Damals hatte Tarnowski nach einer Stunde
geduldigen Wartens die Tür aufgerissen und sich salutierend vor ihm aufgebaut:
„Genosse Oberst, Hauptmann Tarnowski meldet sich auf Befehl zu Stelle.“
    Über einen sogenannten Kader war ein Gerücht im
Umlauf. Wie es hieß, fühlte er sich nicht

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