Come in and burn out - Denglisch
besser?
Tell me why!
SEHR KURZE THEORIE DER DENGLIFIZIERUNG
2010 gewinnt
Satellite
den Eurovision Songtest. Lena Meyer-Landrut singt das Lied in einem Englisch, das wirkt, als sei sie in einem Londoner Arbeiterviertel aufgewachsen, und nicht in Hannover. »This is so absolutely ossip!!«, ruft sie verzückt in die Kameras.
1487 krönt der deutsche Kaiser Friedrich III. den Dichter Conrad Celtis zum Poeta laureatus: einen Deutschen, der ausschließlich lateinisch dichtete und Deutsch als barbarisches Gemurmel verabscheute.
Ist das ein Grundmotiv unserer Geschichte – Selbstverleugnung plus Überanpassung? Ist das der Grund für die Denglifizierung? Walter Krämer und Wolf Schneider haben ganze Bücher mit dieser Behauptung gefüllt. Dabei ist der Gedanke selbst schon wieder reichlich deutsch. Denn erstens: Hatte Celtis nicht recht – war das Deutsch seiner Zeit nicht tatsächlich noch barbarisches Gemurmel, verglichen mit Ciceros Latein? Und warum sang Lena auf Englisch? Weil es alle verstehen! 20 von 24 Nationen machten es so wie sie. Spezifisch deutsch kann das nicht sein. ABBAsangen auch nur englisch und erzielten ihren Durchbruch in Australien – leiden die Schweden also unter Selbsthass?
Die Selbstverleugnungs-Theorie hat einen winzigen Mangel: Sie haut nicht hin. Warum sonst singen die erfolgreichsten deutschen Bands und Sänger auf Deutsch? Grönemeyer, Maffay, Westernhagen, Die Ärzte, Tokio Hotel, Rammstein? Warum ist deutscher
Hip-Hop
mit ausgefeiltester Sprachkunst extrem erfolgreich, von Fanta4 über Fettes Brot bis zu Peter Fox? Walther von der Vogelweide wäre stolz auf seine Nachfolger. Element of Crime sind auch ein schönes Beispiel. Sven Regeners Truppe verkaufte ab dem Moment Platten, als sie von Englisch auf Deutsch umstellten.
Die zweite Theorie: persönlicher Austausch. »Linguistisch betrachtet ist Denglisch ein Phänomen des Sprachwandels, verursacht durch Sprachkontakt. Voraussetzung hierfür sind geografische Nähe und Kommunikation über die Grenzen der Sprachgemeinschaft hinweg«, so Claudia Jahn. Aha! Sprachkontakt. Geografische Nähe. Ist Denglisch also über den Kanal geschwommen? Oder über den Atlantik? Oder haben die 97 560 Engländer in Deutschland uns infiltriert? Merkwürdig: Die zwei Millionen Türken, die bei uns leben, haben den 500 000 deutschen Wörtern nur ein einziges hinzugefügt: Döner. Die 500 000 polnischen Einwanderer kein einziges. Was bedeutet das für die Sprachkontakt-Theorie? Sie ist ein Totalausfall.
Also: Wie kommt es zur Denglifizierung? Wieso zählen wir inzwischen über 10 000 Anglizismen, wenn doch 60 % der Deutschen kaum oder gar kein Englisch sprechen? Und im besten Falle Foodwatch für eine Ernährungsuhr halten?
Die Erklärung liefert ausgerechnet ein Franzose: der Kultursoziologe Pierre Bourdieu. In seinem Buch ›Die feinen Unterschiede‹ zeigt er, dass in unserer Gesellschaft neben Geld zunehmend etwas anderes zählt. Er nennt es kulturelles und symbolisches Kapital. Geschmack, Sprache und Mode sind demnach nicht zufällig. Und auch nicht unsere ganz persönliche Entscheidung. Siedrücken vielmehr aus, wo wir sozial stehen und stehen wollen. Bestimmte Verhaltensweisen versprechen einen »Distinktions gewinn «: eine Gucci-Brille tragen, ein Suhrkamp-Buch lesen, ein I-Pad nutzen. Wer auch immer neue englische Vokabeln in seine deutsche Sprechweise einfügt, hebt sich ab. Er genießt den kurzen Moment, in dem sein Gegenüber ihn nicht versteht. Er präsentiert sich als souveräner Teilhaber der wichtigsten internationalen Verkehrssprache. Und als eingeweihter Insider seines sozialen Milieus: ob Werber, Popmusiker, Teenie oder Unternehmensberater. Das verschafft ihm Sozialprestige. Und zwar gerade weil Englisch kein Allgemeingut ist. Es hat ja auch nicht jeder ein I-Pad .
Und woher dieses ungeheure Prestige? Warum wertet Englisch Dinge und Personen auf? Wir fürchten, die Antwort darauf ist sehr naheliegend: weil Elvis, die Beatles und Michael Jackson die Größten sind. Weil Jazz, Soul und Hip-Hop mehr Menschen berühren als Schönberg und Rihm. Weil die Amerikaner die besten Filme und T V-Serien der Welt drehen. Weil Brad Pitt und George Clooney sexy und smart sind. (Nein, Till: du nicht!) Weil Joanne K. Rowling und J. R. R. Tolkien die Epen unserer Zeit verfasst haben. Und weil der American Way of Life keine deutsche Erfindung ist. Und der britische Humor auch nicht. Schade
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