Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
ungewöhnliche Weise, nämlich durch die Jenseitsreise, gerettet worden. Boccaccio erzählt, Liebe habe ihn immer angetrieben, aber so heftig, so maßlos, daß sie ihm hätte den Tod bringen können, nicht durch die Verweigerung der Geliebten, sondern durch das eigene innere Unmaß. Boccaccio spricht von seinem wirklich drohenden Tod, Dante vergleicht seine Krise mit dem Tod, der nur wenig bitterer wäre (1, 7) . Boccaccio fährt fort: In dieser Situation hätten Freunde durch gute Reden ihn gerettet. Und da er Hilfe gefunden habe, denke er dankbar an solche Unterhaltungen zurück und möchte anderen Trost bringen in der Lebensgefahr der Liebe. Mit der Zeit habe der Sturm der Liebe, der ihn an keiner vernünftigen Grenze haltmachen ließ, sich gelegt; Amor habe ihn aus seinen Fängen entlassen; er könne jetzt an das Leiden anderer denken. Sie will er aufmunternd trösten, und diesen Trost hätten Frauen nötiger als Männer. Dann beschreibt er die Lage der Frauen (Dec., Proemio 10–14):
10 Denn sie halten die Flammen der Liebe aus Furcht und Scham im Innern zurück, daß aber heimliche Liebe mehr Gewalt hat als offene, das wissen alle, die sie erfahren haben. Mehr noch: Die Frauen sind eingeengt durch Pläne, Wünsche und Befehle ihrer Väter, Mütter, Brüder und Ehemänner. Die meiste Zeit verbringen sie eingeschlossen im engen Kreis ihrer Zimmer. Sie sitzen wie untätig herum; sie wälzen, freiwillig oder unfreiwillig, die verschiedensten Gedanken hin und her, die nicht immer heiter sein können.
11 Überfällt sie dabei die Melancholie, genährt von feurigem Verlangen, dann setzt sie sich oft in ihrem Geist als schweres Leiden fest, wenn nicht neue Gedanken sie vertreiben. Hinzu kommt, daß Frauen weniger ertragen können als Männer. Sind Männer verliebt, so geschieht ihnen das nicht, wie die Erfahrung deutlich zeigt.
12 Denn werden Männer von einer Art Melancholie oder Schwermut berührt, so finden sie viele Wege, sie zu mindern und zu überwinden. Männer können, wenn sie wollen, in der Stadt herumlaufen, viele Dinge sehen und hören. Sie können Vögeln nachstellen oder auf die Jagd gehen, fischen, reiten, um Geld spielen oder ihre Geschäfte betreiben. Alle diese Tätigkeiten können den Geist, ganz oder teilweise, so fesseln, daß sie uns ablenken von lästigen Gedanken, wenigstens für eine Weile. Danach kommt dann schon, so oder so, irgendein Trost, oder die Qual läßt von selbst nach.
13 Fortuna geizt immer dort mit ihrer Hilfe, wo ohnehin weniger Kraft ist. Das können wir besonders bei den zarten Frauen sehen. Um diesen Fehler der Fortuna etwas auszugleichen, will ich hundert »Novellen« erzählen – nennt sie meinetwegen auch »Fabeln« oder »Parabeln« oder »Geschichten« – als Hilfe und Zuflucht für Frauen, aber nur für jene, die lieben, den anderen genüge Nadel, Spindel und Haspel. Die Novellen wurden an zehn Tagen von einer ehrbaren Gruppe aus sieben Frauen und drei jungen Männern erzählt, die in der Zeit der Pest und des Sterbens, die wir soeben überstanden haben, zusammengekommen waren. Ich füge einige Lieder hinzu, die diese Frauen zu ihrem Vergnügen gesungen haben.
14 Die Novellen handeln von lustvollen und von traurigen Liebesgeschichten und von anderen zufälligen Begebenheiten, die teils im Altertum, teils in neueren Zeiten spielen. Liebende Frauen, die sie lesen, können sich vergnügen an den unterhaltenden Dingen, die darin vorkommen. Auch nützlichen Rat können sie hier finden, indem sie erkennen, was zu vermeiden und was zu erstreben ist. Und wenn sie Vergnügen und Nutzen gefunden haben, dann ist, glaube ich, auch ihr Kummer vergangen.
Dante ging es um die Rettung seiner selbst, Italiens und der ganzen Welt; Boccaccio, nun dem prasselnden erotischen Gewitter entronnen, schreibt für Frauen, die aus Liebe melancholisch werden. Todesnähe am Anfang – das ist bei beiden. Statt metaphysischer und politischer Intervention bringt Boccaccio belehrenden Weltstoff für Frauen. Er schreibt nachdenkliche, oft, nicht immer vergnügliche Unterhaltungen aus zehnfacher Perspektive, die ständig wechselt. Bei Dante standen Himmel, Fegefeuer und Hölle offen zu seiner Rettung; Boccaccio sieht sich jetzt frei vom zerstörerischen Amor und ersetzt himmlische Interventionen, die auch nur erdichtet waren, durch Dichtung. Er schickt sieben Frauen, drei junge Männer in eine Villa am Stadtrand von Florenz zur Zeit der Pest; er erfindet 14 Tage utopischen Außenaufenthalts, von
Weitere Kostenlose Bücher