Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
Ceccos Anti-Dante-Welt. Wie Dante redet er von sich, gibt sich in der Rolle des unendlich Enttäuschten, der an gar nichts mehr glaubt, der alles zerstören will, aber sich am Ende mit Weibern vergnügt und den eigenen ernst-nihilistischen Ton dementiert:
S’i’ fosse foco, ardere’ il mondo;
S’i’ fosse vento, lo tempestarei;
S’i’ fosse acqua, i’l’annegherei;
S’i’ fosse Dio, mandereil en profundo;
Wäre ich Feuer, ich würde die Welt verbrennen.
Wäre ich Sturm, ich würde sie verwüsten.
Wäre ich Wasser, ich würde sie ertränken.
Wäre ich Gott, ich würfe sie in den Abgrund.
S’i fosse papa, allor serei giocondo,
ché tutti’ cristiani embrigarei;
s’i’ foss’ imperator, sa’ che farei?
A tutti tagliarei lo capo a tondo.
Wäre ich Papst, dann lebte ich vergnügt,
denn ich machte allen Christen das Leben schwer.
Wäre ich Kaiser, weiß du, was ich täte?
Alle um mich herum machte ich einen Kopf kürzer.
S’i’ fosse morte, andarei a mi’ padre;
S’i’ fosse vita, fuggirei da lui;
Similmente faria da mi’ madre.
Wäre ich der Tod, ich ginge zu meinem Vater.
Wäre ich das Leben, ich würde ihn fliehen.
Mit meiner Mutter machte ich dasselbe.
S’i’fosse Cecco, com’ i’sono e fui,
torrei le donne giovani e leggiadre:
le zoppe e vecchie lasserei altrui.
Wäre ich Cecco, was ich ja bin und auch war,
ich nähme mir die Frauen, die jung sind und reizend.
Die wackligen Alten laß ich den andern. [853]
Mit Ceccos Liebesglück ist es nicht weit her. Sein Leben und seine Lyrik haben keinen festen Boden: Alles schwankt. Cecco stellt die Frau dem Mann selbständig gegenüber, eher überlegen, aber sie repräsentiert nicht die göttliche Ordnung. Sie ist so schlecht wie der Mann, nur auf etwas charmantere Weise. Für die geschichtliche Erkenntnis Beatrices ist wesentlich, daß diese ›realistische‹ oder auch ›naturalistische‹, jedenfalls ironische Position um 1300 belegbar ist. Becco verlangt von Gott kein anderes Paradies; er will nur – wie er in ironischer Rhetorik sagt – den Boden küssen, auf den sie den Fuß setzt. [854] Nicht die Alleinherrschaft Dantes ist das für die Toscana zu Beginn des Jahrhunderts Charakteristische, sondern daß Cecco neben Dante zu Wort kam, übrigens neben anderen Dante-Gegnern.
2.
Ein Autor ist Amor entkommen
Boccaccios Hauptwerk entstand vierzig Jahre später. Das Bild der Frau im Decameron ist weitgestreut, geschichtlich und geographisch; es ist nach Charakterlagen vielfältig; es berührt alle sozialen und ethischen Höhen- und Tiefenlagen. Es zeigt Boccaccios Dante-Nähe in der unvermeidlichen Dante-Ferne .
Liebeslyrik hatte sich soeben verstehen gelernt als Nachsprechen dessen, was Amor in der Seele des Dichters vorsagte. Wenige Jahrzehnte später stellte Boccaccio sein Decameron als das Buch eines von der Liebesleidenschaft Befreiten vor. Er ist den Tyrannen jetzt los; jetzt schreibt er fürsorglich ein Buch für Liebende, vor allem für liebende Frauen. Er schildert erst einmal das reale, das eingeengte Leben von Frauen, auch der mittleren und oberen Schicht. Sie leben in Florenz um 1350 unter der Aufsicht ihrer Männer, Väter, Brüder und außerdem der taliban-artig alles überwachenden Bettelmönche. Sie dürfen nicht allein aus dem Haus gehen; sie heiraten nicht, sie werden verheiratet. Auch Beatrice sah man auf der Straße nie allein; aber ihre Freiheitsbeschränkung war für Dante kein Thema; Boccaccio stellt die Einsperrung der Frauen an den Anfang und erklärt seine Dichtung als Trost, Ablenkung und Horizonterweiterung für die immer eingeengten, liebenden Frauen. Die Vielfalt von Frauenschicksalen soll ihren Mangel an selbständiger Welterfahrung ein wenig ersetzen.
Boccaccio vergöttert die Frauen nicht, er schafft ihnen Erleichterung durch abwechselnde Unterhaltung. Er metaphysiziert nicht, er diversifiziert. Es gab in der Commedia nicht nur eine Frau, seltsam steht Matelda neben Beatrice, Dante ist von ihr erotisch bewegt, aber aufs Ganze gesehen, sieht er nur Beatrice, und er tadelt sich selbst, daß er der reinen Strenge dieser ausschließlichen Beziehung nicht immer nachgefolgt ist.
Schon in der Zielsetzung nimmt das Decameron Bezug auf die Frauen (Proemio 2–12), aber anders als Dante. In dessen Prolog, also in Inferno 1 , gesteht der Verfasser, sich durch Unachtsamkeit und Schuld in eine höchst gefährliche Lage gebracht zu haben; nur durch die Intervention des von Beatrice gesandten Vergil sei er auf
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