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Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Titel: Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dante Alighieri , Kurt Flasch
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Wissenschaftlichkeit übertreiben und das Affektive umgehen. Sie sprechen wenig vom Leiden des Exils und kaum von der Liebe zu Beatrice, so sehr sind sie an Hierarchie und Ordnung, an Liturgie- und Bibelanklängen orientiert, neuerdings an Kontingenz oder dem Problem der Zeit. Dagegen stehen allein schon die vielen Interjektionen in Dantes Sprache. Wer sich aufgehalten hat bei schönen Versen und poetischen Erfindungen, mag dann hingehen zu Struktur und Rahmen, zur Grammatik, zu Vergil-Zitaten, geschichtlichen Details und Dantes Philosophie, er sollte dann aber zurückkehren zu einzelnen Gestalten, nicht nur zu Hauptfiguren wie Beatrice und Vergil, sondern auch zu denen an der Seite wie Pia oder zu der namenlosen schönen Frau im 28. canto des Purgatorio , von der wir später erfahren, daß sie Matelda heißt.
    Alle Dichtung bittet den Leser, zurückzukehren zum Text, zu Bildern und sinnlichem Klang. Wissenschaftler neigen zu der Meinung, je begrifflicher, je allgemeiner, je bildloser eine Sprache sei, um so höher stehe sie. Interjektionen und sinnliche Effekte wie ein Ach! gehören nicht in ihre Prosa. Aber die Dichtung wird sinnlicher, je geistiger sie wird. »Habe nun, ach, Philosophie …« Wie oft ruft Dante Oh oder Ahi. Akademische Qualifikationsarbeiten vergessen oft die Sprache der Affekte und überhören die Zonen des Schweigens. Der freie, der nicht-professionelle Leser genieße den Imaginationsreichtum, die Metaphern und den schlichten Wohlklang des Reims. Metaphern verknüpfen das Jenseitigste mit dem Irdischen. Zum sinnlich schönen Klang zwei kurze Beispiele:
    Dante trifft im zweiten canto des Purgatorio den Jugendfreund, den Sänger Casella, der Gedichte Dantes vertont hat. Der bittet ihn, einen Augenblick stehenzubleiben. Dante erkennt ihn und bleibt stehen. Dies ist die Szene (2, 76–89) :
Eine von ihnen sah ich vortreten, um mich zu umarmen, mit so viel Gefühl, daß ich bewegt war, dasselbe zu tun. Oh weh, ihr Schatten, leer, außer für den Anblick! Dreimal umschlang ich ihn mit meinen Armen, und dreimal nahm ich sie vor meine Brust zurück. Ich entfärbte mich, glaube ich, vor Erstaunen, weil der Schatten lächelte und sich zurückzog; ich drängte, ihm folgend, weiter zu ihm hin. Mit sanfter Stimme bat er, ich solle stehenbleiben, und da erkannte ich, wer er war, und ich bat ihn, ein wenig zu bleiben und mit mir zu reden. Er antwortete mir: »Wie ich dich geliebt habe in meinem sterblichen Leib, so liebe ich dich jetzt, vom Leib gelöst.«
    Es kommt hier darauf an, wie die Bitte des Casella in Dantes Bericht klingt, nämlich so (2, 85–89) :
Soavemente disse ch’io posasse,
allor conobbi chi era, e pregai
che, per parlarmi, un poco s’arestasse.
Risposemi: »Così com’io t’amai …«
    Das kann keine deutsche Übertragung wiedergeben: Der ungewöhnliche Reim von arestasse auf posasse beruht auf den scharfen Konsonanten, wird aber ausgeglichen durch den vollklingenden Doppelvokal ai, der im Reim wiederkehrt. Freundschaft, Musik, Jugend, das alles ist in diesen Versen sinnlich präsent. Der Reim schafft eine Atmosphäre der Ruhe, des Innehaltens und des Genusses. Diese Verse reden nicht über die Freundschaft, sie sind das Glück der Freundschaft.
    Aber der Reim schafft nicht nur Zusammenklang; er erzeugt auch durch das Zusammentreffen des Nichtpassenden ironische, skurrile Effekte. Im Purgatorio (24, 20–24) trifft Dante die Schlemmer, darunter Papst Martin IV. Er war als Feinschmecker dafür berühmt, daß er den Aal aus dem Lago di Bolsena in Vernaccia anbraten ließ. Im Purgatorio fastet er nun. Der Feinschmecker-Papst wird mit folgenden Worten vorgestellt:
… das Gesicht dort hinter ihm, mehr als andere wie von Mückenstichen übersät, hielt die heilige Kirche in seinen Armen, er stammte aus Tours und reinigt sich durchs Fasten von den Aalen aus Bolsena und vom Vernaccia.
    und Dante sagt das so; und man beachte die Reimworte:
… e quella faccia
di là da lui più che l’altre trapunta
ebbe la Santa Chiesa in le sue braccia:
Da Torso fu, e purga per digiuno
L’anguielle di Bolsena e la vernaccia.
    Der Reim bringt nicht nur Harmonie, er verstärkt die Ironie und verschärft die Attacke: Die Arme, braccia , des Heiligen Vaters sollen die verfallende Kirche stützen; sie sollen segnen, aber sie reimen sich auf vernaccia . Dante verachtet Genießer, aber er sagt das kühl und spöttisch, fast wie Heinrich Heine.

II.
    Frauen
    Dieses Kapitel braucht eine eigenwillige Form. Es

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