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Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Titel: Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dante Alighieri , Kurt Flasch
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Weisen an. Ghismonda löst Weisheit, die weibliche Vokabel, ab von der bisherigen De-facto-Identifizierung mit Männlichkeit, und das war nicht möglich ohne das Vorbild der Beatrice. Doch war von deren körperlicher Liebe oder von ihrer freien Wahl des Geliebten nie die Rede. Insofern stehen wir vor einem neuen Stadium. Nicht nur kommen im Decameron die sozialen Probleme der Liebe an, Vater-Tochter, Dienstherr-Diener, nicht nur ruiniert sich jetzt ein fürstlicher Vater, weil er seine Tochter als etwas ansieht, was ihm gehört; vor allem spricht sich ein weibliches Selbstbewußtsein aus, das sich hochtheoretisch auf Natur und Geist, auf animo und besonnene Wahl stützt. Boccaccio steht Dante und der Philosophie viel zu nahe, um nur zum Vergnügen zu erzählen; er scheut nicht begrifflichen Aufwand und abstrakte Rhetorik, um ein neues weibliches Selbstbewußtsein irdischer Frauen auszusprechen, in einer geschichtlichen Situation, die sich von der Dantes weit entfernt hat, mit einer neuen philosophischen Reflexion, die die metaphysischen Konzepte von animo und intelletto , die bei Dante führend waren, mit Naturalismus, also mit Anerkennung der Gesetze der Biosphäre und der Jugend verbindet.
    6.
    Figuren der Frauenemanzipation
    Im Decameron gibt es eine aufsteigende Reihe von Frauenfiguren: Elisabetta, Ghismonda und Filippa. Sie kommen von Beatrice her und bilden zugleich einen Kontrast zu ihr. Sie zeigen, wie die intellektuelle Entwicklung in Florenz nach Dantes Tod weitergegangen ist. Diese Linie führt zuletzt zu Griselda; sie ist nicht zufällig die Protagonistin der letzten Novelle des Decameron . Zu dieser letzten Novelle mache ich nur wenige Bemerkungen. [858]  
    Das Decameron erklärt sich im Proemio 14 als anschauliche, vergnüglich vorgetragene Moralphilosophie, besonders für Frauen. Der zehnte Tag steht unter der Leitidee der aristotelischen Tugend der hohen Gesinnung, der magnificenzia . Um sie historisch einzuordnen, muß man wissen: Großgesinntheit und Weisheit sind ebenso wie Standhaftigkeit ( constantia ), aber auch wie Geduld und Demut ( patientia und humilitas ) bereits antik-philosophische Tugenden; sie sind keine spezifisch christlichen Werte. Boccaccio nennt Griselda weise , savia (§ 38), von geduldigem Geist, paziente animo (§ 36). Immer wieder kommen die Leitbegriffe: animo  – constantia und humilitas , auch pazienzia (§ 58 und 61) und humilitas (§ 33). Boccaccio kannte diese Tugenden antiker Philosophen nachweislich aus Senecas Texten. Er stellt eine arme Frau als deren Typus vor uns, gegen den Fürsten abgesetzt, der von Zweifeln geplagt, sich in seelischer Unreife handfeste Beweise verschaffen will, wofür es sie nicht gibt, nämlich daß er geliebt wird. Griselda erträgt das mit stoischem Gleichmut; ihr Selbstverständnis formuliert Boccaccio mit Hilfe von stoischen Texten. Sie spricht wie Seneca, auch wenn volkstümliche Bilder wie Kleiderwechsel und fingierter Tod von Kindern nicht fehlen.
    Griselda spricht nicht wie die Gottesmutter. Sie betet nicht zu Maria. Sie ist in größter Not, verzichtet auf alles, selbst auf die Kinder, aber kein Gebet kommt über ihre Lippen, so wenig wie Elisabetta oder Ghismonda. Die christliche Religion ist in all diesen extremen Lagen abwesend; sie hat keine Lebensbedeutung mehr – für Frauen in größter Not. Die Frau hat gelernt, sich der Fortuna entgegenzusetzen; ein Bauernmädchen beweist wahren Adel. Sie tritt auf: identisch mit sich, ohne den Gesichtsausdruck zu verändern, senza mutar viso (§ 28 und 31), selbst nach der Wegnahme ihres Kindes. Sie bleibt wie der stoische Weise flexibel in allem, was der Fortuna unterliegt. Der Markgraf Gualtieri, von tierischer Stumpfheit, matta bestialità (§ 39), erweist sich trotz seiner Macht so schwach wie der Mann der Filippa oder wie Fürst Tankred. Die Frau steht für geistige Konzentration, für Geist, animo , und Wahrheit, aber auch für Armut. Alle genannten Frauen werden bedrängt und bedroht von willkürlich handelnden Männern. Sie halten ihr individuelles Lebensgesetz durch. Dies ist möglich. Das beweisen die Novellen, deren naturalistische Elemente von Dante abweichen, die aber seinen Freiheitsbegriff, sein Adelskonzept und seine Fürstenkritik fortsetzen. Die Schlußnovelle beweist doch, wie Dioneo sagt: Es gibt Fürsten, die würdiger wären, Schweine zu hüten, als Herrschaft auszuüben über Menschen (§ 68).
    Boccaccios Herrscherkritik klingt so hart wie die Dantes. Seine

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