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Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)

Titel: Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dante Alighieri , Kurt Flasch
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Frauen – nicht alle, aber die erwähnten: Ghismonda, Philippa, Griselda – haben von Beatrices Souveränität profitiert und sind zugleich ins soziale Leben versetzt. Philippa und Ghismonda bestehen sogar auf dem Recht sexueller Selbstbestimmung. Davon war bei Dante nicht die Rede. Rhetorisch lehrhaft sind auch sie, wie Beatrice es war. Sie sind ihre realen Erben. Aber in der irdischen Welt.

VI.
    Dantes Agon
    Dantes Poesie war nicht friedliche Besinnlichkeit, sondern argumentierender Kampf. Die bisherigen Kapitel haben dies jeweils aus der Perspektive eines Faches beschrieben: philosophie- oder ökonomiegeschichtlich, reichs- oder sprachgeschichtlich, kirchen- oder theologiegeschichtlich. Die Trennungen waren nicht radikal durchführbar. Dantes Lebenskampf hatte viele Felder, war aber insofern einfach, als er Aristoteles-Rezeption und Franziskanismus nutzte für die Verteidigung der Reichssouveränität und der Selbständigkeit natürlicher Lebenswerte und weltlicher Wissenschaft. Sein einheitliches Thema befand sich in dramatischer Bewegung, verlief nicht strikt teleologisch, aber bezog sich seit 1300 immer auf die päpstliche Weltherrschaftspolitik: Diese suchte die Städte und Frankreich gegen den Kaiser aufzustellen und erkannte mit großer Konsequenz sowohl weltliche Gewalt wie philosophisches Denken nur an, wenn sie untertänig blieben. Dagegen stellte sich Dante. Dies war sein Schicksal; dies ergab seinen Agon.
    1.
    Anfänge
    Dante wandte sich um 1290 der Philosophie zu. Damals war die intellektuelle Situation des lateinischen Westens schon recht kompliziert. Er konnte nicht vom Nullpunkt anfangen; er mußte sich auseinandersetzen mit dem, was er als politische Großwetterlage – einschließlich der Kirchenpolitik – und Theorie vorfand. Er antwortete philosophierend-poetisch auf die Gesamtsituation seiner Jahrzehnte. Um sie zu beschreiben, hole ich etwas weiter aus. Ich möchte Dante nicht monumentalisieren, sondern historisieren, und ich verstehe unter ›Historisieren‹ nicht das Vorbringen von Geschichtszahlen, sondern das Aufdecken nach- und fortwirkender Kräfte in dem Komplex Commedia–Monarchia, die gemeinsam ein historisches Bollwerk, aber auch ein Ferment für die Zukunft bilden. [901]   Denn im Laufe des 13. Jahrhunderts brachte die Papstpolitik divergierende realgeschichtliche, kirchenpolitische und philosophiegeschichtliche Mächte zusammen. Im Blick auf diese Zusammenführung entwickelte Dante seine poetische, philosophische und politische Position. Dante haßte Bonifaz VIII. Aber sein Konflikt mit ihm war von großer objektiver Natur. Er war Dantes Schicksal. Um es von kleinen Interessengegensätzen zu unterscheiden, spreche ich von Dantes Agon. Da standen nicht nur Dantes zwei Bücher gegen viele andere Schriften; da stritten weltgeschichtliche Tendenzen gegeneinander:
die alte Reichsidee gegen die neue Rechtskonstruktion und ökonomische Produktivität der Kommunen und ihres Handels;
die Idee der päpstlichen Weltherrschaft gegen die neuerwachte Selbständigkeit von Politik und Wissenschaft;
die Gehorsamsforderung der kirchlichen Autorität gegen die Erfahrung der Natur der Dinge und des Wissens. [902]  
Dante spricht im Bewußtsein historischer Dringlichkeit. Er sah Italien und die Menschheit aufs äußerste bedroht – durch die päpstliche Machtpolitik, die Konstantins Schenkung ermöglicht hat, und durch die Habgier der neuen Ökonomie. Ich versuche nun, Dantes theologisch-politische Situation in kleinen Schritten zu entwickeln.
    Ob das Christentum philosophielos zur Welt kam, will ich hier nicht entscheiden; jedenfalls enthalten christliche Texte, die um 120 nach Chr. vorlagen, einige philosophische Grundbegriffe. Dazu gehören Konzepte wie ›Vorsehung‹ ( pronoia ) und ›Gewissen‹ bei Paulus ( syneidesis , 1 Kor. 10, 25), das weder in der hebräischen Bibel noch in den Evangelien ein Äquivalent hat, auch ›Logos‹ zu Beginn des Johannesevangeliums. Frühe Christen versetzten antik-philosophische Ideen in ihren kulturellen und sozialen Kontext. Hellenistische Grundbegriffe wie Logos oder Pronoia gehörten jetzt einer neuen Gruppe und ihrer anderen Ethik an; sie waren mitgeprägt durch die Erwartung des nahen Weltendes. Dieses trat so schnell nicht ein; gebildete und reiche Christen des 2. Jahrhunderts entwickelten andere intellektuelle Bedürfnisse als die Fischer vom See Genezareth. Sie suchten das umfassende Verständnis des Geglaubten; sie mußten und

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