Commedia und Einladungsband: I.Commedia. In deutscher Prosa von Kurt Flasch II.Einladung, Dante zu lesen (German Edition)
glücklich.
Die richtige Liebe sichert die Glückseligkeit. Aber auf der Erde herrscht Fortuna. Ihrer Willkür können wir nur ausweichen durch stoische Gelassenheit. Die Sonne des guten Grundes der Welt leuchtet immer, aber sie wird uns durch Wolken verdeckt. Wir müssen die Gesamtordnung der Welt gut finden und uns durch anerzogene Unerschütterlichkeit vor Schicksalsschlägen wappnen (Consolatio 1, 7):
Nubibus atris
Condita nullum
Fundere possunt
Sidera lumen.
In meiner Gebrauchsübersetzung:
Hinter schwarzen Wolken versteckt,
können Sterne ihr Licht nicht verbreiten.
In der poetischen Übertragung von Konrad Weiß:
Wenn hinter Wolken finster sie hausen,
schicken ihr Licht die Sterne vergebens. [907]
Was folgt daraus für die eigene Lebensführung? Entsagen. Das Gedicht endet mit folgenden Zeilen:
Tu quoque, si vis
Lumine claro
Cernere verum,
Tramite recto
Carpere callem;
Gaudia pelle,
Pelle timorem
Spemque fugato
Nec dolor adsit.
Nubila mens est
Vinctaque frenis,
Haec ubi regnant.
Auch du, wenn du im hellen Licht
die Wahrheit fassen willst,
vertreibe die Freuden, vertreibe die Furcht.
Verjage die Hoffnung, dulde kein Schmerzgefühl.
Wo dies alles herrscht, bleibt trübe der Geist,
liegt er besiegt in Fesseln.
Dieses stoische Konzept der Affektunterdrückung hat durch Boethius im Mittelalter Zustimmung gefunden; es war weder Eckhart noch Dante fremd.
Wichtige Elemente der Weltansicht Dantes enthielt der Hymnus des Boethius an die weltgestaltende Gottheit O qui perpetua. Er zeichnet den Weltgrundriß des platonischen Timaios nach: den ideenhaften Ursprung aller Dinge; den zahlenhaft geordneten Charakter der Geschöpfe; die neidlose Güte des göttlichen Ursprungs (Consolatio 3, 9).
O qui perpetua mundum ratione gubernas,
Terrarum caelique sator, qui tempus ab aevo
Ire iubes stabilisque manens das cunctis moveri,
Quem non externae pepulerunt fingere causae
Materiae fluitantis opus, verum insita summi
Forma boni livore carens, tu cuncta superno
Ducis ab exemplo; pulchrum pulcherrimus ipse
Mundum mente gerens simili in imagine formans …
In der Übersetzung von Ernst Gegenschatz und Olof Gigon:
Der du lenkest die Welt nach dauernden festen Gesetzen,
Schöpfer des Himmels, der Erden, der du von Ewigkeit ausgehen
Hießest die Zeit, selbst nimmer bewegt, bewegend das Weltall!
Keine äußere Macht trieb dich, aus wogenden Massen
Deine Schöpfung zu formen; in dir nur trägst du des höchsten
Guten Gestalt, bist frei von Mißgunst. Das All vom Urbild
Leitest du her; die herrliche, Herrlichster selber,
trägst du im Geiste, die Welt, und formst sie zu ähnlichem Bilde …
Der göttliche Geist ( mens ) bewegt alles, bleibt selbst unbewegt. Er ordnet nach dauernden Gesetzen den Weltlauf. Auch der Mensch ist Geist ( mens ), und sein Geist nimmt die Wahrheit nicht von außen auf, sondern gestaltet sie nach eigenem inneren Gesetz. Boethius wendet sich gegen die außenorientierte Erkenntnislehre der Stoiker; ihre Abbildtheorie des Erkennens hält den Menschengeist für eine ungeschriebene Tafel, der von außen die Inhalte eingeschrieben werden. Sie kann nicht begreiflich machen, daß der menschliche Geist nach allem greift und daß er seine Inhalte nach eigenen Regeln aufteilt und wieder zusammenfaßt. Daß er über alles urteilt, indem er sich dabei auf sich selbst bezieht (Consolatio 5, 4):
Unde haec sic animis viget
Cernens omnia notio?
Quae vis singula perspicit
Aut quae cognita dividit?
Quae divisa recolligit
Alternumque legens iter
Nunc summis caput inserit,
Nunc decedit in infima,
Tum sese referens sibi
Veris falsa redarguit?
Woher dann dieser Sinn, der selbst
lebt im Geiste und alles sieht?
Wie geschieht jene Macht, die prüft
einzeln und die erkennt und teilt?
Teile baut sie zum Ganzen aus,
sucht den einen, den anderen Weg,
hebt ihr Haupt bald zum Himmel hoch,
weicht bald nieder zum tiefsten Grund,
um zuletzt zu sich selbst gebracht
auszuzählen, was wahr, was falsch. [908]
Das hieß: Wäre der Mensch nur ein Teil der Natur, würde seine intellektuelle Produktivität unbegreiflich.
3.
Das frühe Mittelalter
Boethius galt wegen seiner Hinrichtung als christlicher Märtyrer. Dies gab seiner Hochschätzung selbständiger Philosophie zusätzliche Legitimation für die Folgezeit, besonders in dem durch Karl den Großen zur Kulturarbeit verpflichteten Klosterleben. Boethius ermöglichte seit der Reorganisation der Bildung im 9. Jahrhundert konkrete philosophische Lebensorientierung und kohärenten
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