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Commissaire-Llob 1 - Morituri

Commissaire-Llob 1 - Morituri

Titel: Commissaire-Llob 1 - Morituri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Folterphantasien hingab. Seine Gymnastin
    war niemand anderer als Anissa.“
    „Hör zu, mein Guter, ich bekomme noch einen
    Drehwurm, so sehr schleichst du um den heißen
    Brei herum. Komm direkt auf den Punkt, das ist
    der kürzeste Weg.“
    Da die Schizophrenie eines Vorgesetzten noch
    keine Meuterei rechtfertigt, macht Serdj gute Mie-
    ne zu meiner Unfreundlichkeit.
    „Abbas Laouer war Direktor der Nationalbank“,
    führt er geduldig aus. „Er hatte ein echtes Problem.
    Sein Fonds wies ein Defizit von hundertzwanzig
    Millionen Dollar auf. Sein Tod stand auf allen Ti-
    telseiten. Einige Zeitungen sind sogar so weit ge-
    gangen, von vertuschtem Mord zu sprechen.“
    Ich habe die Affäre damals am Rand mitbekom-
    men. Die Veruntreuung öffentlicher Gelder ist bei
    uns gang und gäbe. Vom berühmten „Soudouq at-
    tadamoun“, dem „Solidaritäts-Fonds“, der gleich
    nach der Unabhängigkeit gegründet wurde, über
    den 26-Milliarden-Skandal bis hin zu den phantas-
    tischen Benefizveranstaltungen im Fernsehen zu-
    gunsten der Hospize ist das alles in seiner tödlichen
    Banalität keine Schlagzeile mehr wert.
    Angesichts meiner Lethargie kürzt Serdj die Sa-
    che ab. Er tippt mit seinem tintenverschmierten
    Finger auf Mourad Attis Gesicht.
    „Die Kleine wußte sicher etwas über den Tod ih-
    res Cousins. Vielleicht hat sie sich selber bedroht
    gefühlt oder einfach nur den Kopf verloren. Das ist
    das dritte Mal, daß uns der Name des Limbes
    Rouges unterkommt. Meiner Meinung nach sollten wir uns mit Kommissar Dine kurzschließen. Er hat
    seinerzeit beim Tod von Abbas Laouer ermittelt.“
    „Dine ist in der Irrenanstalt.“
    „Sie haben ihn vor einem Monat entlassen. Ich
    habe das überprüft. Außerdem haben wir keine
    andere Wahl.“

    * * *

    Dine empfängt mich in seiner armseligen Bude in
    einem der Wohnsilos. Er ist unheimlich gealtert.
    Nichts ist mehr übrig von seiner Leibesfülle. Von
    seiner Heiterkeit auch nicht. Er ist kahl geworden,
    sein Blick grau, seine Wangen so hohl, daß man
    Wasser in ihnen auffangen könnte. Der Mann ist
    am Ende, völlig verbraucht, er zittert und keucht:
    ein Wrack, das sich im Halbdunkel des Zimmers
    auflöst.
    Unser Wiedersehen ist so unpersönlich wie eine
    Gegenüberstellung. Er hat weder einen Handschlag
    noch ein Lächeln für mich übrig. Ich habe das Ge-
    fühl, seine Kreise zu stören. Ich setze mich ihm
    gegenüber hin und finde nirgendwo die Kraft, ihn
    zu fragen, wie es ihm geht.
    Auf dem Tisch zwischen uns eine Flasche, in der
    gerade noch ein Finger Alkohol übrig ist, daneben
    ein Aschenbecher, voll wie eine Urne. Um uns
    herum ein einziges Chaos: Matratzen liegen herum,
    einzelne Schuhe, schmutziges Geschirr, Staub,
    Gestank …
    Dine schiebt seinen Pyjama hoch, um sich an der
    Wade zu kratzen. Sein Bein ist ungesund bleich.
    Mit zittriger Hand hebt er eine Schachtel Zigaret-
    ten vom Boden auf.
    „Du schnaufst schon wie eine Dampflok!“
    „Verteilt den Raucheratem besser im Raum. Tut
    mir leid, einen Kaffee kann ich dir nicht anbieten.“
    „Macht nichts. Sind deine Kinder nicht da?“
    „Leg keinen Wert drauf, daß die mich so verka-
    tert hier rumhängen sehen. Ich hab sie nach Oran
    geschickt.“
    Ich nicke. „Wir machen alle turbulente Zeiten
    durch.“
    Ohne den Sinn zu erfassen, wiederholt er mit be-
    trunkener Stimme: „Turbulente Zeiten.“
    Er sinkt in seinen abgewetzten Sessel zurück,
    bläst Rauchkringel in die Luft. Flüchtig scheint ein
    blödes Lächeln unter seinem Schnurrbart auf. Un-
    vermittelt runzelt er die Stirn, als hätte er eben erst meine Anwesenheit bemerkt.
    „Warum bist du gekommen, Llob?“
    „Kannst es wohl kaum erwarten, bis ich das Feld
    wieder räume?“
    „Man kann dir aber auch gar nichts verheimli-
    chen.“
    Ich stehe auf, trete ans Fenster. Draußen verwei-
    gert Algier dem Mittelmeer jegliches Interesse.
    Über seine sämtlichen Hügel verstreut starrt es auf
    die Sonne wie ein verwüsteter Hühnerhof auf ein
    unerreichbar fernes Maiskorn. Schweigend und
    mißtrauisch ankern ein paar Schiffe auf offener
    See. Die Küsten des Landes sind auch nicht mehr
    das, was sie einmal waren.
    Unten, auf der aufgesprungenen Erde des Innen-
    hofs, reißen zwei Kinder meinem Zastava den
    Rückspiegel ab. Ein drittes springt auf dem Auto
    herum und rutscht laut lachend über die Motorhau-
    be.
    „Warum bist du gekommen?“
    Ich drehe mich um. Dine steckt sich mit dem
    Stummel der alten eine neue Zigarette an.

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