Commissaire-Llob 1 - Morituri
ist. Die Kleine liegt bäuchlings auf dem
Bett der Lankabouts, das Kleid über die Hüften
hochgeschoben, das Höschen zu den Waden herun-
tergezogen.
Ihr Mörder muß sie mit einem Kissen erstickt ha-
ben, während er sie vergewaltigt hat.
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Zentimeter um Zentimeter habe ich mit Serdj Anis-
sas Appartement im Cinq Étoiles durchgekämmt.
Nur Spuren einer Kamera hinter den Nippessachen,
was vermuten läßt, daß die Liebesspiele der Klei-
nen gewissenhaft dokumentiert worden sind. Sonst
nichts. Kein Tagebuch, kein Telefonverzeichnis,
nicht einmal ein Kalender. Der Schmuck ist nicht
angetastet worden, aber die Familienfotos sind
verschwunden.
Wir suchen unter den Teppichen und kratzen die
hintersten Winkel der Schubladen aus, um einen
Manschettenknopf oder ein Stück Fingernagel zu
finden, die uns auf eine Spur bringen könnten: rein
gar nichts.
Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder hatte
Anissa ein Softwareprogramm im Kopf installiert,
oder jemand ist uns zuvorgekommen.
Ich erwische den Etagenkellner, wie er uns
durchs Schlüsselloch beobachtet. Auf frischer Tat
ertappt, ist er bereit, mit uns zusammenzuarbeiten
– auf seine Weise: er erinnert sich nicht, ob Anissa
am Tag, an dem sie ermordet wurde, allein oder in
Begleitung ausgegangen ist, schwört beim Haupt
seiner Mutter, daß er sie für die Tochter einer rei-
chen alten Schachtel gehalten und nicht das ge-
ringste von ihren horizontalen Geschäften geahnt
habe. Der Rest des Personals ist vom gleichen
Schlag. Sie alle sind an großzügige Trinkgelder
gewöhnt und schalten ihr Gedächtnis je nach der
Spendierfreude der Fragenden an und wieder ab.
Der Hoteldirektor begnügt sich damit, die Ach-
seln zu zucken. Er erinnert sich nicht einmal mehr
an die Kleine. Für ihn ist der Gast nur Mittel zum
Zweck. Er hält den Laden in Gang wie ein Hotel-
page oder ein Liftkabel. Er ist eine Zimmernummer
oder eine Rechnung, für die die Buchhaltung zu-
ständig ist. Wie er sich anzieht, was er sonst so
treibt, ist dem Hotelier herzlich egal.
Da ich im Limbes Rouges Hausverbot habe, war
ich so naiv, Lino loszuschicken, sich dort unauffäl-
lig umzusehen. Man weiß ja nie: auch ein blindes
Huhn findet mal ein Korn.
Lino ist unverrichteter Dinge zurückgekommen,
mit leerem Blick und ebensolchen Taschen. Was
mich nicht sonderlich wundert. Lino würde noch
im Ozean auf dem Trockenen sitzen, wenn man
seine Fähigkeiten als Rutengänger in Anspruch
nehmen würde.
Serdj durchstöbert den ganzen restlichen Tag die
Archive. Währenddessen hänge ich mit dem Finger
in der Nase in meinem Büro herum und lasse die
Heldentaten einer Küchenschabe im Kampf mit
meinen Schuhbändern ungerührt über mich erge-
hen.
Durch das Fenster blinzelt die Sonne auf mich
herab. In der Ferne steht das kolossale Monument
der Märtyrer kurz davor, sich in sein Grabtuch aus
Gischt gehüllt vom Hügel herab ins Meer zu stür-
zen.
Ich folge dem Beispiel der Tüchtigen dieser
Welt, die ihre Unfähigkeit nicht zugeben und so
tun, als dächten sie nach, während sie dabei sind
einzudösen. So spiele auch ich den Beschäftigten.
Ein Chef schläft nicht, auch wenn er herzhaft
schnarcht; er grübelt, er meditiert, er kontrolliert.
Als ich gerade selig entschlummern will, kommt
Serdj mit einem zerknitterten Photo herein und
reißt mich brutal aus meinen Träumereien.
„Vielleicht besteht da ein Zusammenhang!“
Auf dem Photo sieht man Anissa Arm in Arm
mit Haj Garne auf einer Gala. Sie lächelt und
strahlt übers ganze Gesicht. Im Hintergrund erken-
ne ich die nichtssagenden Züge der Limbes-
Rouges- Chefin. Sie steht direkt hinter Mourad Atti.
„Und was bringt uns das?“ frage ich gereizt.
Serdj geht um meinen Schreibtisch herum und
beugt sich über meine Schulter.
„Das hier wurde am 29. Januar aufgenommen“,
erklärt er.
„Und weiter?“
Meine zunehmende Lustlosigkeit bringt ihn aus
dem Konzept.
„Anissa hieß eigentlich Soria Atti. Mourad war
ihr Cousin.“
Ich halte mir die Hand vor den Mund, um ein
Gähnen zu unterdrücken.
Serdj wischt sich die Stirn mit einem Taschen-
tuch ab. Er merkt, wie demotiviert ich bin, und
weiß nicht, ob er seinen Bericht auf später ver-
schieben oder fortfahren soll.
„Mach ruhig weiter“, ermuntere ich ihn.
„In der Nacht vom 29. zum 30. Januar bekam ein
gewisser Abbas Laouer einen Herzinfarkt, als er
sich in einem der Zimmer des Nachtclubs gerade
seinen
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