Commissaire-Llob 1 - Morituri
vor
den schweren Höschen.“
„Vor was?“
„Vor den Transvestiten, Idiot.“
Er zwinkert und gibt ungeniert zu:
„Ach weißt du, ich bin nicht so anspruchsvoll.“
Ich versuche, Anissas niedliche Larve in diesem
Puzzle der Reize zu sichten. Sie ist unauffindbar.
Ein sanfter Zusammenstoß bringt uns mit zwei
wunderbaren Kreaturen in Kontakt, die gerade so-
viel auf dem Körper tragen, um nicht die Sittenpo-
lizei auf den Plan zu rufen. Die Rothaarige windet
sich wie eine Made und wirft uns feurige Blicke
zu. Die andere ist brünett und schlank und zeigt
ganz offen, wonach ihr die Sinne stehen.
Zu seiner eigenen Überraschung beginnt Lino auf
zwei Ebenen zu sabbern.
„Sie sind sicher vom Film?“ maunzt die Brünette
ihm ins Grübchen neben seiner Schulter.
„Schon möglich“, lügt der Leutnant.
„Sie sehen nämlich Woody Allen ähnlich!“
gluckst die Rothaarige.
„Ich finde, er ähnelt eher Idir*“, sage ich. [* Künst-lername; einer der bekanntesten zeitgenössischen Berbersänger]
„Warum?“
„Na, ist doch klar, der ist auch beschnitten.“
Die zwei Häschen sind schockiert. Sie nehmen
die Brillenschlange in ihre Mitte und drängen ihn
in Richtung Buffet.
„Wer ist denn diese Mumie? Ist er mit dir da?“
„Sonst noch was?“ wehrt Lino ab, dieser Verrä-
ter. „Das ist sicher irgendso ein Hungerleider, den
Madame Fa eingeladen hat, um das Mitleid der
anderen Gäste zu wecken und so die Kasse ihres
Wohltätigkeitsvereins wieder aufzufüllen.“
Jetzt, wo ich allein bin, kann ich mich ungestört
dem Studium der mich umgebenden Fauna wid-
men. Das Anwesen der Lankabouts ist ein echter
Olymp, auf dem sich neureiche Götter und Huris**
tummeln. [** Huri = Jungfrau, die nach islamischem Glauben im Paradies dem Gläubigen zur Frau gegeben wird.]
Die Frau des Hauses hat ein ganzes Regiment von
Dienern aufgeboten, um ihre Gäste zu verwöhnen.
Mit einem Glas Orangensaft in der Hand mache
ich mich daran, die Leute aus der Nähe zu betrach-
ten. Es ist im Prinzip der gleiche Haufen wie beim
Schwiegersohn von Ghoul Malek, eine Auswahl
arrivierter Snobs, bei deren Anblick man sich an
seinen Pantoffeln verschluckt … He! Entspann
dich, Llob, nimm ein Zäpfchen, das bringt dich
wieder in Form! Ich erkenne Rachid Lagoune, den
Präsidenten von SOS-Ostrazismus, einer Volksbewegung gegen die Ausgrenzung im allgemeinen
und die Diskriminierung der Elite im besonderen.
Früher war er ein zäher Outsider. Hat keine Ver-
sammlung ausgelassen, um die Schergen des Re-
gimes, das Mikro zwischen den Zähnen, mit Hohn
zu überschütten. Kannte sämtliche Staatsgefäng-
nisse in- und auswendig und war auf dem besten
Weg, ein Mythos zu werden.
Ich bin überrascht, ihn hier anzutreffen. Er hat zu
tief ins Glas geschaut und scheint sich königlich zu
amüsieren. Er hat sich einen Ring ans Ohr gesteckt
und einen Pferdeschwanz wachsen lassen, eine
Fliege drückt ihm sein Kinn in die Höhe, ihm, dem
Verteidiger der gebeugten Nacken.
„Wie ich sehe, hast du dein Mäntelchen in eine
andere Windrichtung gehängt“, flüstere ich ihm zu.
„Besser noch“, erwidert er, „ich habe mir ein
neues geleistet.“
Durch meine Taktlosigkeit aus dem Takt ge-
bracht, sinnt er nach, in welchem Hundezwinger
ihm ein Floh wie ich über den Weg gelaufen sein
kann.
„Kämpfst du nicht mehr für die gute Sache?“
„Jede Sache ist gut, vorausgesetzt, es gibt einen
ordentlichen Rausch dabei … Kennen wir uns?“
„Ich denke nicht. Ich kannte einmal einen Rachid
Lagoune. Das war aber eine Schwuchtel!“
Er mustert mich von oben bis unten und spuckt
aus.
„Guten Abend, mein Herr! Hoffentlich auf Nim-
merwiedersehen!“
Ein Stückchen weiter fängt Sid Lankabout mich
ab, der Schreiberling des alten Regimes. Mein
Gott, wie ich den hasse. Er hat so wenig Talent wie
der Pantoffel einen Absatz. Doch zum Ausgleich
dafür einen grenzenlosen Opportunismus. Am An-
fang, als es Pflicht jedes Marxisten war, wie ein
Besessener zu lesen, war er Kommunist, später, als
jeder Trottel für kybernetische Literatur schwärm-
te, Surrealist. Vor allem hat er sich zu allen Zeiten
in der Sprache der Apparatschiks geübt und über
die besten Kontakte zu den Dinosauriern des alge-
rischen Sozialismus verfügt. Sogar am Gymnasium
hat er einmal unterrichtet, um der Jugend das Le-
sen zu verleiden. Die Frankophonenhetze und die
meisten Studentenunruhen gehen auf das Konto
seiner
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