Commissaire-Llob 1 - Morituri
Yasmina Khadra hatte zuvor bereits zwei Kriminalromane mit Commissaire Llob als Hauptfigur in Algerien veröffentlicht (Le Dingue au bistouri und La Foire des enfoirés). Morituri ist ihr erster Roman, der gezielt für eine europäische Leserschaft geschrieben wurde, um ihr die Bürgerkriegssituation in Algerien näherzubringen und um sie auf die drastischen Verhältnisse und den täglichen Terror aufmerksam zu machen. Indem sie sich der staatlichen Zensur widersetzt und die Situation in ihrer Heimat kritisch hinterfragt, riskiert Yasmina Khadra, die immer noch in Algerien lebt und ihre Romane bisher nur unter einem Pseudonym veröffentlichen konnte, ihr Leben. Aber der große Erfolg ihrer Werke in Frankreich und auch in Algerien, wo Morituri, Double blanc und L’Automne des chimères wie schon die ersten beiden Bände der Commissaire-Llob-Reihe stark rezipiert und trotz des Risikos unter der Hand weitergegeben und gelesen werden, zeigt, daß ihr Aufschrei gehört wird. Trotz der Gefahren, denen Yasmina Khadra täglich ausgesetzt ist, verstummt sie nicht, sondern setzt ihre kritische Analyse des blutigen Konflikts fort und publizierte im August 1998 in Frankreich den Roman Les Agneaux du Seigneur, gefolgt von A quoi rêvent les loups im September 1999. Beide Werke schließen inhaltlich an die vorangegangenen an, sind jedoch nicht mehr der Gattung des Kriminalromans zuzuordnen.
Seit der Unabhängigkeit Algeriens im Jahr 1962 wurden bis heute nur dreiundzwanzig frankophone Kriminalromane von algerischen Autorinnen und Autoren publiziert, fünf davon von Yasmina Khadra. Insgesamt betrachtet ist die Anzahl algerischer Kriminalromane als sehr gering einzustufen, und sie spiegelt den langwierigen Implementierungsprozeß der Gattung in Algerien wider, der zwanzig Jahre dauerte und erst Anfang der Neunziger mit dem ersten Band der Reihe um Commissaire
Llob seinen Abschluß fand. Erstmals in der Geschichte des algerischen Kriminalromans gelang es Yasmina Khadra, mit der Figur ihres Commissaire Llob einen typisch algerischen Durch-schnittsbürger in den Mittelpunkt ihrer Romane zu stellen, einen integren Polizeikommissar mit traditionellen Werten und kleinen Schwächen, die den brummigen Protagonisten umso lie-benswürdiger erscheinen lassen. Llob steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden, auf algerischem Boden, den er als glühender und besorgter Patriot tapfer verteidigt. Auch die Inhalte der Romane ließen keinen Zweifel an der algérianité der Reihe und trugen dazu bei, daß sich die Gattung am Ende des 20. Jahrhun-derts endgültig in der algerischen Literaturlandschaft verankerte.
Bei näherer Betrachtung des Werks von Yasmina Khadra fällt auf, daß alle fünf genannten Romane in ihrem Aufbau strikt den formalen Kriterien des roman noir folgen, einer Untergattung des Kriminalromans, die sich vor allem dadurch auszeichnet, daß die beiden Handlungsstränge von Verbrechen und Ermittlung parallel laufen. Das Verbrechen steht also nicht als Rätsel am Anfang der Handlung, es hat weder den Charakter des Au-
ßergewöhnlichen noch die Funktion eines bloßen Reizes, sondern wird vielmehr zu einem Ereignis, dessen Ausführung und Bekämpfung der Leser im Laufe des Romans miterlebt. Auf inhaltlicher Ebene kann das Verbrechen im roman noir zur subtilen Anklage einer korrupten oder insgesamt „gestörten“
Gesellschaft eingesetzt werden oder den Anknüpfungspunkt für sozialkritische Überlegungen bilden. In diesem Sinne bleibt auch der Schluß des roman noir meist offen. Die Täter können zwar in vielen Fällen gestellt werden, was jedoch nicht immer bedeutet, daß auch die Gefahr abgewendet und die ersehnte Lösung des Problems herbeigeführt wird. Zu komplex sind die Gründe, die Menschen zu Verbrechern werden lassen. Zieht man die genannten Gattungsmerkmale in Betracht, so wird deutlich, daß Yasmina Khadra im roman noir ein maßgeschneidertes Genre gefunden hat, um den Konflikt in Algerien kritisch zu beleuchten und einem breiten Publikum näherzubringen, geht es ihr doch weniger um das Aufzeigen von Lösungen als vielmehr um eine möglichst realitätsnahe und komplexe Darstellung der Krise in ihren Ursachen und Zusammenhängen, in ihrer Drama-tik und Ausweglosigkeit.
Im Mittelpunkt der Romane von Yasmina Khadra steht der
schroffe, aber sensible Protagonist der Reihe, Commissaire Llob, der sich nicht nur als Polizeikommissar, sondern auch als Schriftsteller für Aufklärung und Gerechtigkeit einsetzt und somit
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