Commissaire-Llob 1 - Morituri
räumen muß. Sie wollten nicht auf mich hö-
ren … Verdammt! Laß ich mich von so einem I-
dioten erwischen!“
Ich antworte mit einem Zitat aus seinem nächtli-
chen Anruf: „He, was willst du? Die Leute sind
nicht alle gleich.“
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Lino schnitzt mit der Spitze seines Taschenmessers
Schnörkel in den Tisch. Seine entblößten Zehen
verpesten das bißchen frische Luft, das der Gestank
des WCs bis zu uns durchläßt. In der schwülen
Stille meines Büros ist nur das Knirschen der Klin-
ge im Holz zu hören.
Zwischendurch pustet der Leutnant in heller
Freude über sein Talent immer wieder über seine
Kalligraphien hinweg und verkündet: „Das stell ich
später im Museum aus.“
„Und deine Socken gleich dazu.“
Wir warten auf den Anruf von Dine. Wenn ich
schon abgehört werde, warum nicht gleich davon
profitieren? Der Habibo hat ausgepackt. Er wollte
ohne seinen Anwalt nichts sagen und hat verlangt,
daß wir ihn zum Bezirkskommissariat bringen. Da
sind wir mit ihm zu einem abgelegenen Bauernhof
gefahren und haben ihn die ganze Nacht lang
durchgewalkt.
Der Habibo heißt Hamma Llyl. Er arbeitet in ei-
ner Schraubenfabrik in Annaba und hat das Feuer
am Tag nach dem aufsehenerregenden Ausbruch
der neunhundert Fundamentalisten aus Lambèse
gelegt. Nach einigen kleinen Scharmützeln im Ma-
quis hat er sich auf den städtischen Terrorismus
spezialisiert. Achtzehn Morde in einem Jahr. Sein
Ruf ließ ihn zu einem der begehrtesten Killer im
Land aufsteigen. Seit zwei Jahren pendelt er zwi-
schen Algier und Constantine hin und her, mit ei-
ner schallgedämpften 9-mm-Pistole im Kulturbeu-
tel. Er jagt nur Großwild: Gewerkschafter, hohe
Funktionäre, Offiziere, Verleger, lästige Emire.
Seine Auftraggeber kennt er nie. Selbst wenn sie
ihm erlauben sollten, bis zu ihnen vorzudringen,
würde er die Einladung ablehnen. Eine ganze Rei-
he von Killern wurde aufgrund dieses „Privilegs“
schon ausgeschaltet. Die Auftraggeber zahlen gut.
Aber es sind Medusen. Den Unvorsichtigen, der
seine Augen auf sie richtet, verwandeln sie zu
(Grab)Stein.
Als das Telefon klingelt, schneidet sich Lino fast
in den Daumen. Ich deute ihm, sich zu gedulden.
Nach dem sechsten Läuten nimmt er ab: „Zentra-
le, ich höre … Ach, Sie sind es, Kommissar Dine
… Bedaure, er ist in einer Besprechung. Er hat mir
aufgetragen, ihn unter keinen Umständen zu stören
… Wenn Sie darauf bestehen, werde ich schauen,
was ich machen kann. Bleiben Sie dran …“
Er legt den Hörer hin, bewegt einen Stuhl, gibt
vor hinauszugehen. Ich warte drei Minuten, stamp-
fe mit den Füßen auf den Boden, greife nach dem
Hörer.
„Ja, Dine …? Hör mal, ruf mich doch in einer
knappen Stunde an. Ich habe enorm …“
„Es ist ungeheuer wichtig“, tönt es aus der Lei-
tung.
„Hast du eine Fliege in deinem Glas gefunden?“
„Ich habe den Kerl erwischt, der dich bedroht
hat. Er ist ein professioneller Killer. Hamma Llyl
ist sein Name. Er hat Salah Doba umgebracht.“
„Bist du sicher?“
„Llob, ich bitte dich, verschieb deine verdammte
Sitzung. Ich sage dir, das hier geht vor. Der Kerl
verblutet gerade in meinem Kofferraum. Wenn du
ihn mit eigenen Ohren hören willst, bevor er kre-
piert, beweg dich schleunigst her.“
„Bring ihn zu mir.“
„Kommt nicht in Frage. Zu viele Spitzel. Komm
in einer halben Stunde zu Khélifa.“
„Von wo genau rufst du an?“
„Von einer Telefonzelle, zwei Kilometer vor Sidi
Moh.“
Ich tu so, als würde ich überlegen. „Nicht bei
Khélifa. Kennst du die Rue Gard …? Nein, hör zu,
erinnerst du dich an den verlassenen Bauernhof, in
der Nähe des Salzsees, bei Douar Nayem?“
„Ich weiß, wo das ist. Gute Idee. Treffen wir uns
dort in einer Stunde … Noch etwas, Llob. Komm
allein. Ich betone: allein. Einer zuviel und der
Himmel fällt uns auf den Kopf.“
* * *
Ich schaue so oft in den Rückspiegel, daß mir bald
die Augen steckenbleiben. Die Stadt verschwindet
hinter einer Wand aus glühender Hitze. Die Auto-
bahn ist dicht befahren. Ich fahre ganz links und
beobachte die Autos, die mich einholen und in wil-
dem Zickzack an mir vorüberfahren.
Douar Nayem ist so groß wie ein Taschentuch.
Sechs morsche Hütten, ein verfallener Innenhof
und als Waschhaus ein Becken, in dem es vor Un-
geziefer nur so wimmelt. Die Piste, die dorthin
führt, ist mehr eine Wagenspur durchs Gestrüpp.
Aus einer Hecke, hinter der sich ein paar
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