Commissaire-Llob 1 - Morituri
uns zu einer Art Treppenabsatz, wie ich ihn nicht einmal meinem algerischen Verleger wünsche. Kein Geländer, keine Beleuchtung, nur ein paar abgetretene Stufen, die in der Dunkelheit schweben, bereit, uns ins Nichts zu befördern.
Die Tür, die uns interessiert, modert am Ende des Ganges vor sich hin. Links davon hört man ein Baby schreien. Ich ziehe meine Knarre und breche die Tür mit einem Fußtritt auf. »Polizei!«
Ein Tisch stürzt mit Gepolter um, man hört zwei Flüche, und schon ballert ein Schießeisen in unsere Richtung los.
Ich dringe wahllos feuernd als erster ein. Ein zerrissener Vorhang winkt uns Lebewohl. Der Dealer ist über die Dächer davon. Er ist nicht allein. Ein Klumpfuß hüpft Hals über Kopf hinter ihm her.
»Polizei! Stehenbleiben …«
Eine Gruppe Frauen läßt die Wäsche fallen und läuft schreiend auseinander. Der Klumpfuß gerät mit dem Fuß in einen Eimer, fällt hin, schickt uns eine Salve entgegen. Lino schießt zurück und trifft ihn an der Schulter.
Der Dealer kommt zurück, um seinem Kumpel aufzuhelfen, zögert angesichts unseres Ansturms, wägt Pro und Kontra gegeneinander ab. Schließlich jagt er dem Hinkebein eine Kugel in den Schädel und entkommt durch eine Waschküche.
»Nimm die Stiege!« rufe ich Lino zu.
Der Leutnant verschwindet.
Hinter der Waschküche ist eine weitere Terrasse. Ein Treppenhaus führt in ein furchterregendes Gebäude hinunter. Hinter den Türen kreischen die Frauen. Ich steige mit butterweichen Knien in die Hölle hinab.
»Gib mir mein Kind zurück!« schluchzt eine Mutter. »Es ist krank. Laß es in Ruhe!«
Der Dealer kann nicht vor noch zurück, das Kind hat er als Schutzschild vor sich. Lino setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um die Mutter in der Deckung zurückzuhalten.
»Laß den Kleinen los!« fordere ich den Dealer auf.
»Nein, und du wirst deinen Hintern von hier fortbewegen, du Fettwanst!« Seine Augen leuchten seltsam triumphierend auf. »Du wirst ihn auf dem Gewissen haben«, warnt er mich. »Ich habe nichts zu verlieren. Eine Bewegung, und das Gesichtchen des Engels da ist nicht mehr nett anzuschauen.«
Er kichert.
Ich kenne diese Art von Verrückten. Wenn ich meine Waffe sinken lasse, schießt er mich nieder und verschwindet mit dem Kind. Wenn ich sie oben lasse, gewinne ich Zeit zum Überlegen.
Lino versucht, ihn abzulenken. Der Dealer gewöhnt ihm das mit einem schnellen Schuß zur Seite ab.
»Keine Bewegung, Scheißkerl!«
»Wenn du dem Kleinen auch nur ein Haar krümmst, verspreche ich dir, ich schneide dich in Scheibchen.«
Er wühlt hektisch in den Haaren des Buben.
»Du hast verloren, du häßlicher Dickwanst. Jetzt kannst du drei Tage pausenlos fasten. Und nun geh zur Seite und wirf dein Spielzeug herüber.«
Hinter ihm taucht über der Mauer der Kopf von Serdj auf.
»Schon gut«, sage ich und breite langsam die Arme aus. »Laß den Kleinen los …«
»Dein Spielzeug auf den Boden, und zwar plötzlich!«
Serdj macht mir ein Zeichen nachzugeben.
Mein Magen verkrampft sich. Über meinen Rücken jagen prickelnde Schauer. Der Dealer kichert noch immer, so kalt und zynisch, daß ich feuchte Hände bekomme.
»Schneller, Scheißbulle!«
Die Pistole fällt mir aus der Hand. Ich weiß nicht, was passiert ist. Wie im Traum sehe ich, wie der Dealer das Kind in Richtung Lino stößt, um seine Seite zu decken, und seine Kanone auf mich ansetzt. Ein Schuß … Ich warte lange darauf, daß ich zusammenbreche. Der Dealer zuckt mit keiner Wimper. Er kichert und kichert, dann färben sich seine Zähne rot und ein Rinnsal Blut quillt aus seinen Mundwinkeln hervor. Er taumelt wie in Zeitlupe und schlägt endlich auf den Boden auf.
Serdj springt von der Mauer herunter, stößt mit dem Fuß die Waffe des Dealers weg, beugt sich über ihn.
»Er atmet noch. Einen Krankenwagen, schnell!«
13
Der Dealer ist ein gewisser Slimane Abbou. Die Kugel von Serdj war ein glatter Lungendurchschuß ohne größere Verletzungen. Der Polizeiarzt sagt, er müsse unter Beobachtung bleiben. Ich verspreche, ihn im Auge zu behalten.
Eine Hausdurchsuchung bei ihm hat uns ein Fax eingebracht, zwei abgesägte Schrotflinten und jede Menge Munition, dazu ein ganzes Sortiment zum Bombenbau, ein Handbuch über explosive Stoffe sowie Traktate, die mit Abou Kalybse gezeichnet sind, dazu eine Liste mit den Namen von dreiundzwanzig Intellektuellen, von denen acht mit einem Kreuz markiert sind, darunter der Dichter Jamal Armad, Sissane Miloud
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