Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Moschee, wo man unter lauter Tattergreisen vermodert, wie es sich für brave Pensionäre gehört?
Lino hatte recht gehabt. Er hatte mit übervollem Mund gesprochen, an jenem Abend auf der Küstenstraße, aber nicht nur wegen der Fleischspießchen. Sterben ist der schlimmste Dienst, den man einer guten Sache erweisen kann. Denn über allen Trümmern und Opfern tummeln sich unweigerlich irgendwelche Aasgeier, die listig genug sind, sich als Phönix auszugeben. Und die werden nicht eine Sekunde zögern, mit der Asche der Märtyrer ihre privaten Paradiesgärten zu düngen, die Grabsteine der Gefallenen in Monumente für sich selbst zu verwandeln und die Tränen der Witwen auf ihre Mühlen umzuleiten. Und das, das kann ich nicht ertragen.
Vielleicht habe ich deshalb so lange gebraucht, bis ich auf das Klingeln reagiert habe.
»Hast du dein Hörrohr verlegt oder was?« wiehert Dine auf dem Treppenabsatz. »Ich läute schon seit gut zehn Minuten.«
Angesichts meiner tristen Miene dämpft er den Ton und grinst mich stumm an mit seinem Pferdegebiß. Dann pocht er mit seinem nikotingelben Fingernagel eindringlich auf das Zifferblatt seiner Armbanduhr, um mir klarzumachen, daß wir zu spät zu unserer Verabredung kommen werden.
Ich nehme lustlos meine Proletarierjacke vom Haken und hole ihn am Fuß der Treppe ein.
Dine ist so erregt, daß man meinen könnte, er wäre angespitzt. Er hat seinen besten Anzug an, dazu italienische Schuhe, und ist derart üppig mit Eau de Toilette bestäubt, daß es sogar einen Leichnam im fortgeschrittenen Stadium der Verwesung wieder annehmbar duften lassen würde. Um sich den Anschein von Seriosität zu geben, hat er sich eine gigantische Hornbrille auf die Nase geklemmt, die sein halbes Gesicht verdeckt.
»Hör zu, mein Schatz«, warnt er mich, als er mir den Wagenschlag öffnet, »wenn du vorhast, den ganzen Abend über so muffig zu bleiben, bleiben wir besser gleich zu Hause. Vergiß nicht, daß wir eine Dame besuchen. Also bitte, ein bißchen Haltung - und nicht so eine Trauermiene!« fügt er hinzu und knallt die Wagentür hinter mir zu.
Kein Wort dringt aus meinem Mund während der ganzen Fahrt. Meine Bitternis hat etwas, das einem alle Freude auf Erden vergällen kann, Dines Freude zuallererst. Er hat inzwischen gemerkt, daß es sinnlos ist, den Clown zu spielen, um mir ein Lächeln zu entlocken. Meine Unleidlichkeit beginnt auf ihn überzuschwappen wie ein giftiger Nebel. Einmal hätte ich ihn fast gebeten, anzuhalten und mich aussteigen zu lassen. Ich wollte zu Fuß nach Hause zurück. Nicht um mir die Beine zu vertreten oder den Geist zu lüften, sondern einfach, weil ich finde, daß sogar Dine mich jetzt mächtig zu nerven beginnt. Und überhaupt, ich habe schließlich ein Recht darauf, mich in meinen vier Wänden zu vergraben, meine Gedanken zu sortieren, ein wenig Abstand zu gewinnen, um zu sehen, wie es um mich steht.
Was weiß Dine denn schon von meiner Einsamkeit? Warum schleppt er mich zu dieser Witwe, obwohl ich gar nicht darauf brenne, sie wiederzusehen? Wenn er sich für sie interessiert, was habe ich damit zu tun? Wenn man so will, benutzt Dine mich nur.
Seit langem schon finde ich Feten nicht mehr zum Lachen. Die Ursache dafür liegt in der Kindheit, die man mir gestohlen, der Jugend, um die man mich gebracht hat, und heute sind die Zeiten auch nicht danach, das wieder ins rechte Lot zu rücken.
Als ich ein Junge war, war immer diese Glasscheibe zwischen mir und meinen Träumen auf der einen Seite, der Ausgelassenheit des Feierns auf der anderen.
Auf dem Hof der Guillaumets, wo ich als Mädchen für alles verdingt war, blieb keine Zeit für Zerstreuungen. Ich war ständig im Dreh, hin- und hergerissen zwischen Haushaltspflichten und Botengängen, war bemüht, mein Geld auch wert zu sein, und ertrug mit stoischem Gleichmut alle Höhen und Tiefen - ganz wie die Schwalben, bei denen sich das Weiß der Bäuche wunderbar mit dem Schwarz auf ihrem Rücken verträgt. Gott hat zweierlei Sorten von Menschen geschaffen, lehrte man mich: reiche und arme.
Wenn das Haus meiner Herrschaft mit Girlanden geschmückt war und aus allen vier Himmelsrichtungen knatternde Automobile und Kutschen eintrafen, wenn der Lärm des Festes bis auf den Berg emporschallte und das Lachen der Frauen sich am Firmament brach, dann gab ich mich mit einer Astgabel oder einem Plätzchen im Schatten zufrieden und betrachtete das Glück der anderen wie durch ein Aquarium hindurch. Stundenlang blieb
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