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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Mann streichelt seine Kalaschnikow und erklärt: »Wir patrouillieren von Zeit zu Zeit hier in der Gegend. Aber manchmal sind wir tagelang zum Durchkämmen ganzer Gebiete weg, und dann fehlen uns die Leute.«
    Ich bleibe stehen, um einen Eindruck vom Ausmaß der Verluste zu gewinnen. Imazighene ist ein Symbol der Entsagung, malträtiert, traumatisiert, mißtrauisch geworden, und seine Gassen sind von einem wachsenden Übel verseucht: der Feindseligkeit. Es ist die Feindseligkeit einer aus dem Sattel geworfenen Bevölkerung, deren Nerven bloßliegen und die sich weigert zu glauben, daß man schlicht aus Versehen in ihrem Ort landen kann.
    Als Kind kam ich oft hierher, um heimlich Loun-ja zu beobachten. Sie wohnte in einem Häuschen, das heute dem Erdboden gleich ist, dort auf der Anhöhe, hinter dem Kaktusstreifen. Jeden Morgen schlug sie den Weg zur Quelle ein, mit einem Gewand in den Farben des Sommers angetan, den Wasserkrug in vollendetem Gleichgewicht auf ihrer flammenden Mähne balancierend. Lounja war elf Jahre alt und hatte einen azurblauen Blick. Wenn sie ihr kristallklares Lachen in die Lüfte warf, huschten mir seltsame Schauer über den Rücken.
    Der Imam wischt sich mit einem Zipfel vom Turban übers Gesicht. Er ist puterrot, als würde er gleich explodieren. Er beugt sich zu Arezki hinüber und erzählt:
    »1994 sind vierzig Hundesöhne aus den Wäldern dort drüben hervorgestürmt. In weniger als einer Stunde hatten sie alles geplündert. Bevor sie wieder abgezogen sind, haben sie alle Familien auf dem Dorfplatz versammelt und ihnen eine Predigt gehalten. Dann haben sie als abschreckendes Beispiel den Muezzin und seinen Sohn erdolcht und sie kopfüber am Eingang der Moschee aufgehängt. Du erinnerst dich sicher noch an Haj Boudjemaa. Er hat zur Zeit der Besatzung an der Koranschule von Igidher unterrichtet.«
    »Ich erinnere mich nicht an ihn.«
    »Er war sehr eng mit deinem Vater befreundet.«
    »An den erinnere ich mich auch nicht mehr.«
    »Schon möglich, du warst ja noch sehr jung … 1995 sind sie dann wiedergekommen. Am Vorabend vom Aid [Aid el-Kebir, das große Opferfest, wichtigstes muslimisches Fest] , kannst du dir das vorstellen? Sie haben die Häuser der ehemaligen Mudschaheddin [Gemeint sind die Kämpfer im algerischen Befreiungskrieg gegen die Franzosen (1954-1962)] in Brand gesetzt und Amrane und seine Familie in der Gesundheitsstation verbrannt. Du erinnerst dich doch noch an Amrane, den Pferdehändler?«
    Arezki schneidet eine ausweichende Grimasse.
    Der Imam runzelt die Brauen: »Du erinnerst dich nicht an Amrane?«
    »Es tut mir wirklich leid.«
    »Ich hoffe, daß du dich wenigstens an mich erinnerst?«
    Arezki blickt zu Boden: »Ich bin sehr früh von hier fort.« Der Imam ist enttäuscht.
    »Warum haben sie ihn verbrannt?« frage ich nach.
    Der Imam wendet die offenen Handflächen zum Himmel. »Wer weiß das schon? An Amrane war nichts Besonderes, er war unauffällig, fast nichtssagend als Person. Wenn ihr mich fragt, sie haben ihm vermutlich vorgeschlagen, eine gestohlene Viehherde auf dem Souk abzusetzen, und er hat nicht mitgemacht.«
    Wir kommen beim Haus der alten Taos an. Sie empfängt uns im Innenhof ihres ärmlichen Gehöfts, den sie üppig mit Teppichen und alten Kissen ausgelegt hat, und lädt uns ein, uns an den Tischchen niederzulassen, die rund um einen Johannisbrotbaum aufgestellt sind.
    »Lalla [»Gnädige Frau«, »Madame«: übliche Anrede für ältere Damen]«, murmelt der Imam mit begehrlichem Blick auf das ,Festmahl’, »wir sind zutiefst betrübt, dich noch ärmer zu machen.«
    »Mein guter Imam«, unterbricht sie ihn, »du hast schon deine liebe Not, mich am Freitag in der Moschee zu beschwatzen, da wirst du mir doch nicht heute unter meinem eigenen Dach was vormachen wollen!«
    Der Imam lacht leutselig und macht sich daran, ein Plätzchen in den Reihen der Alten zu suchen.
    Lalla Taos ist die ältere Schwester von Da Achour. Die Last des Alters scheint ihr nicht das Geringste anzuhaben. Von der Höhe ihrer sechsundachtzig Jahre herab hat sie nach wie vor alles fest im Griff, robust und klarsichtig, und ihre Bewegungen sind so flink wie ihr Mundwerk, aus dem mitunter herrlich frivole Scherze sprudeln. Sie ist witzig und voll Temperament, hat Autorität, ohne autoritär zu sein, und alle Welt liegt ihr zu Füßen. Sie steht aufrecht im Sturm wie die Eiche neben einem Marabout: Die Mühlen des Alltags, die sie aufreiben könnten, die Sorgen und Plagen, die an

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