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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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der letzte Schutzpatron dieser Stadt.
     
    Wir haben ihn auf dem Friedhof von Igidher beigesetzt. Fünfzig Gräber vom Grab von Idir Nait-Wali entfernt. Alles frische Gräber, die sich wie braune Geschwülste aus der Erde wölben. Zweimal war der Stamm in der Zwischenzeit Opfer tragischer Vorfälle geworden. Erst hatte eine Gruppe Fundamentalisten eine Polizeisperre an der Straße nach Sidi Lakhdar vorgetäuscht. Sie nahmen den Bus ohne Vorwarnung unter Beschuß. Das Fahrzeug fing Feuer, die Fahrgäste sind bei lebendigem Leibe verbrannt. Etwas später wurden sieben Frauen und dreizehn Kinder aus der Nähe des Marabout [ Für den Maghreb typisches Kuppelgrab eines islamischen Heiligen] Sidi Meziane entführt. Zwei Tage später fand man sie in einer Lichtung auf, alle erdolcht.
    Mohand fragt, ob ich etwas zum Gedächtnis des Verstorbenen sagen wolle. Ich schüttle nur den Kopf.
    »Na schön. Dann werdet ihr jetzt mit dem Auto nach Imazighene gebracht. In einer knappen Stunde treffen wir uns alle da unten wieder.«
    Ich bedanke mich bei ihm. Er sieht zu, daß er fortkommt, zu seinen bewaffneten Männern.
    Die Menge zerstreut sich schweigend. Greise humpeln auf Lieferwagen zu, andere zu ihren Eselskarren. Die Jüngeren laufen zu Fuß den steilen Hügel nach Imazighene hinunter.
    Arezki Nait-Wali sitzt selbstvergessen auf einem großen Stein vor dem frischen Grab. Sein naßgeschwitztes Hemd dampft in der Hitze. Er hat seine purpurrote Nase in ein Taschentuch gepreßt und wartet, daß ich ihn abholen komme.
    »Los, komm«, muntere ich ihn auf.
    Er schüttelt das Kinn und erhebt sich.
    Ich lege ihm den Arm um die Schultern und schiebe ihn vor mir her. »Wollen wir den Wagen nehmen?«
    »Ich gehe lieber zu Fuß.«
    »Ist aber ein ganzes Stück.«
    »Halb so schlimm, geht ja immer bergab.«
    »Na schön. Dann wollen wir mal.«
    Imazighene ist ein Geisterdorf, einige Kabellängen von Igidher entfernt. Einst wurden dort die Widerspenstigen des Stammes einquartiert, die sich weigerten, zu den Zuaven zu gehen [hier allgemein: sich in die französische Armee einberufen zu lassen. - Zouaven oder Zuaven (benannt nach einem algerischen Berberstamm, der besonders tapfere Soldaten für das türkische Heer, dann für die Franzosen stellte) hießen die Mitglieder eines später nicht mehr ausschließlich aus Berbern bestehenden französischen Kolonialcorps in türkischer Tracht.].
    Während des Krieges fiel das Nest an die SAS [»Section administrative specialisee« = in etwa »Sonderverwaltungseinheit«, 1955 von den Franzosen zur psychologischen Kriegsführung gegen die Bevölkerung geschaffen.]. Nach 1962 beschloß es, weiterhin ein Ort der Ausgrenzung zu bleiben und ist seitdem von einer geradezu pathologischen Verweigerungshaltung. Keine Kinder, die schreien, keine Töpfe, die scheppern.
    Da liegt er, der Ort, am Ende eines Pfades, und verbirgt seine Misere verschämt hinter einem Bollwerk aus Feigenkakteen, so trostlos wie ein indianischer Friedhof. Seine Bewohner sind nach einem Massaker fortgezogen und haben den Fundamentalisten ihre klägliche Herde und ihre armseligen Gerätschaften zurückgelassen. Ein Großteil der Hütten hat schon kein Dach mehr. Die Fassaden der Innenhöfe sind rissig geworden und bröckeln im Wind. Alles ist still, nur die Zugluft schlägt munter über die Stränge, läßt Türen klappen und Fenster quietschen. Die Ratten haben die modrigen Räume zu ihrem Reich erkoren. Und die Spinnen ihre hängenden Gärten von einer Mauer zur anderen gespannt, über das ganze Mobiliar hinweg. Außer einigen Greisen, die geisterhaft in den Eingängen hocken, klammert sich nur eine Handvoll Familien störrisch an ihren Bau, das Gewehr geschultert, das Auge waidwund.
    »Wir haben ihnen angeboten, sich nach Igidher zurückzuziehen, aber sie wollen ihre Gemüsegärten nicht aufgeben«, erklärt mir ein junger Patriot [»Patrioten« oder »Selbstverteidigungsgruppen« nennen sich in Algerien die von staatlicher Seite bewaffneten Milizen, die die Bevölkerung vor den islamistischen Terroristen beschützen bzw. selbst Anschläge und militärische Offensiven gegen die Terroristen durchführen. In einigen Gegenden ersetzen sie faktisch die Sicherheitskräfte.] . »Tagsüber tun sie, was sie können, und nachts schieben sie Wache.«
    »Wenn das noch lange so weitergeht«, bemerkt der Imam, »dann sterben sie, falls die roten Khmej [Unrat, Dreck] sie nicht vorher umbringen, entweder an Angst oder an Schlaflosigkeit.«
    Der junge

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