Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
„Ganz schön triste bei dir. Komm, wir gehen
uns amüsieren und pfeifen den Bullen eins.“
Ich mache Anstalten, mich zu zieren. Seine
Schlägerfaust befördert mich ins Treppenhaus.
„Sonst verpassen wir noch den Höhepunkt des
Spektakels, mein Lieber.“
Im Handumdrehen befinde ich mich auf der Stra-
ße.
Dine schubst mich in eine fette, funkelnde Li-
mousine, schwingt sich hinters Lenkrad und ruft:
„Na, wie gefällt dir meine Kutsche? Jetzt bist du
erst mal platt, was? Hast wohl erwartet, mich tags-
über Rosenkranz beten und abends in den Kneipen
rumhängen zu sehen? Fehlanzeige! Mit dem Ruhe-
stand hat ein neues Leben begonnen, ein zweiter
Frühling. Rassehengste sterben mitten im Orgas-
mus, mein Schatz. Das Alter ist bloß was für
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Maulesel und Ackergäule.“
Dine ist derart enthusiastisch, daß ich mich am
Ende wirklich etwas entspanne. Ich lasse mich in
den Sitz fallen und atme tief durch. Der Wagen
spurt lautlos über den Asphalt. Am Himmel, an
dem es millionenfach funkelt, lacht der Mond. Ich
schließe die Augen und gestatte dem Fahrtwind,
mein Haar zu zerzausen und mein Hemd aufzu-
plustern.
Dine führt mich ins Corail, ein pompöses Luxus-restaurant inmitten eines vier Hektar großen Parks, den gepflasterte Alleen und schmiedeeiserne La-ternenpfähle durchziehen. Das Meer ist gleich ne-
benan, mit einem paradiesischen Streifen Strand
voller Felsskulpturen. Einige Pärchen schlendern
laut lachend über den feinen Sand, nur in den Win-
keln, in die kein Scheinwerfer reicht, verstummen
sie kurz. Wir stellen den Wagen auf dem Parkplatz
ab und erstürmen eine Eingangshalle, die nicht
minder blitzt und funkelt als der monströse Kron-
leuchter, der von der Decke strahlt. Hinter einem
Tresen aus granatrotem Mahagoni fingert der Emp-
fangschef erst einmal seine Fliege zurecht, bevor er uns mit einem Lächeln bedenkt, dessen Professio-nalität etwas Beunruhigendes hat.
„Guten Abend, Monsieur Dine. Welch eine Freu-
de, Sie heute abend unter unseren Gästen begrüßen
zu dürfen!“
Er schiebt seine Hand auf eine Klingel. Alsbald
kommt von man weiß nicht woher ein Vogel ange-
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stelzt, der steif und hochmütig dreinblickt. „Ist
Monsieur Dines bevorzugter Tisch frei?“
„Ja, Monsieur.“
„Nun, dann nehmen Sie ihn in Ihre Obhut.“
„Sehr wohl, Monsieur.“
Der Lakai zeigt uns gehorsamst den Weg, mit
starrem Genick und strengem Frack stolziert er
voran, die Nase wie einen Feuerhaken in die Luft
gereckt.
„Wo habt ihr denn diese Antiquität aufgegabelt?“
flüstere ich Dine ins Ohr.
Dine stößt mir den Ellenbogen in die Rippen, um
mir klarzumachen, daß ich jetzt besser die Klappe
halte.
Der Lakai führt uns an einen blumengeschmück-
ten Tisch direkt an der Fensterfront, rückt uns die Stühle zurecht und löst sich in Luft auf.
„Der Ruhestand scheint dir nicht schlecht zu be-
kommen“, bemerke ich zu Dine.
„Könnte man so sagen …“
„Hast du dich ins Geschäftsleben gestürzt?“
„Ich habe mir während meiner Dienstzeit nicht
nur Feinde gemacht. Ein paar Freunde haben sich
erinnert, daß ich ihnen mal nützlich war. Sie haben mir die Leitung eines kleinen Betriebs in der Le-bensmittelbranche angeboten, und da habe ich zu-
gegriffen.“
Ich sehe mich im Saal um, entdecke den einen
oder anderen alten Bekannten, ein paar Neureiche,
die ihren Harem vorführen, ein paar hochgestellte
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Persönlichkeiten, die ganz in ihre Verhandlungen
mit ausländischen Geschäftspartnern vertieft sind,
und im Hintergrund die Verbrechervisage von Haj
Garne* [* Figur aus „Morituri“] an einem Tisch mit Soraya K. der örtlichen Madame Claude** [** Be-rühmte Organisatorin von Sexorgien in Frankreich] , die mich beide mit hämischem Grinsen mustern.
„Du erinnerst dich noch an Kader Laouedj?“
fragt Dine und zeigt verstohlen auf einen gedrun-
genen Fettsack zu unserer Linken.
„Der hat aber zugelegt.“
„In jeder Hinsicht. Man munkelt, daß er dem-
nächst die Leitung des Komitees der Rechtschaffe-
nen übernehmen soll.“
Fast hätte ich mein Gebiß verschluckt. „Soll das
ein Witz sein?“
„Klingt so, ist aber so gut wie offiziell.“
Wirklich ein guter Witz! Ich kannte Kader Lao-
uedj schon, als er seine ersten propagandistischen
Zungenschläge am nationalen Fernseh-
Konservatorium absolvierte. Ein Schleimscheißer
erster Güte. Er hatte die höchsten Funktionäre in
seiner Sendung zu Gast. An jenen
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