Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Abenden blieb
der Nation weiter nichts übrig als blindlings
draufloszuzappen, auf die Gefahr hin, daß der
Fernseher explodierte. Wer keine Satellitenschüs-
sel hatte, machte kurzen Prozeß und schaltete aus.
Und als er dann fürs Parlament kandidierte, stimm-
ten alle Leute für ihn. Sie hatten keine andere
Wahl. Es war das einzige Mittel, ihn davon abzu-
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halten, ihnen weiterhin ihren Fernsehabend zu
versauen. Aber der Abgeordnete Laouedj hat nicht
lange gebraucht, bis er wieder auf dem Bildschirm
auftauchte. Nach knapp einem Jahr stand er fünf
staatlichen Ausschüssen vor, bis er über eine
schmutzige Korruptionsaffäre im Zusammenhang
mit der Veruntreuung von Volkseigentum stolper-
te. Die Presse hat sich mit dem Mut der Meute auf
ihn gestürzt und ihn wochenlang auf die Titelseite
gezerrt. Der Ärmste hat sich von Prozeß zu Prozeß
geschleppt, von Skandal zu Skandal, von Depressi-
on zu Depression, und ist schließlich ganz von der
Bildfläche verschwunden. Nachdem der Sturm sich
gelegt hat, taucht er mit einem herzzerreißenden
Schuldbekenntnis, das er sich von einer Schar ge-
kaufter Journalisten hat zusammenzimmern lassen,
wieder aus der Versenkung auf, kommt in den Ge-
nuß der hohen Ehre, eine mickrige Benefizsendung
zu moderieren, die ihn rehabilitieren soll, und wird schließlich auf den Posten des Dorfbürgermeisters
in einem friedlichen Kaff gehievt. Nur zwei Jahre
später startet er auf hohem Roß als Gründungsmit-
glied einer Pipifaxpartei sein politisches Come-
back.
Laouedj bemerkt, daß ich ihn anstarre, hebt mir
sein Glas zum Gruß entgegen und hat mich schon
wieder vergessen. Eines ist sicher: Der Typ bringt
es noch mal weit. Er ist von grenzenloser Schamlo-
sigkeit und weiß, daß man in einem undurchschau-
baren System um so schneller nach oben kommt, je
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weniger Skrupel man hat. Und ist man erst oben,
steht man den Göttern in nichts nach. Der mieseste
Charakter wird als originell eingestuft und frühere Fehltritte werden als Heldentat verbucht. Wer in
der einen Hand das Geld und in der anderen die
Macht hält, für den ist das Himmelreich nicht der
Rede wert.
„Hör auf, ihn so anzustarren, du wirst ihn noch
verärgern.“
Ich fange mich.
Der Kellner kommt, nimmt unsere Bestellung
entgegen und zieht wieder ab.
Erneut ertappe ich mich dabei, wie ich Laouedj
beobachte, seinen Pariser Anzug, seine frischen
Wangen und seine geschmeidigen Bewegungen.
Das ist bloß ein Misthaufen von einem Gauner,
sage ich mir. Außen hui und innen pfui. Auf einen
Misthaufen werde ich doch nicht neidisch sein.
Eine Dame mit futuristischem Kopfputz tritt in
Erscheinung. Sie ist hochgewachsen und feinglied-
rig wie ein Elektromast und aufreizend reizvoll in
eine Robe gegossen, deren Rückenausschnitt bis
zum Ansatz ihres Popos reicht. Einen Moment lang
bleibt sie reglos zwischen den Tischen stehen, ihr
Täschchen fest an den Busen gepreßt, und wartet
hoheitsvoll, daß man sich ihrer annehmen möge.
Schon kommt ein Lakai herbeigeeilt, bittet sie, ihm zu folgen und weist ihr den Tisch neben unserem
zu. Gleich beginnt Dine, sich den Schnauzer zu
zwirbeln. Die Dame dankt dem Lakai, nickt uns
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unmerklich zu, verschränkt ihre Rosenfinger un-
term porzellanenen Kinn und versinkt alsbald in
tiefe Kontemplation der Deckengemälde.
„Schau dir nur dieses Kunstwerk an!“ ruft Dine
mit fiebernder Stimme aus. „Madame Zhor Rym,
die schönste Witwe von ganz Algier.“
„Ich kenne sie.“
„Du kennst sie wirklich?“
„Naja, wie man sich so kennt.“
Er zerquetscht mir fast das Schulterblatt: „Machst
du mich mit ihr bekannt?“
„Du hast eine prima Frau, Dine. Fände ich nicht
gut, wenn du das vergißt.“
Er zerknüllt seine Serviette und zieht schmollend
seinen Oberkörper zurück.
Hinten im Saal macht Haj Garne dem Lakai Zei-
chen näherzukommen, flüstert ihm etwas ins Ohr
und steht auf. Er umrundet umständlich den Tisch,
um Soraya K. beim Aufstehen behilflich zu sein.
Seine Galanterie nach Art einstiger Eseltreiber ist so umwerfend, daß fast ein Gedeck dabei zu Bruch
gegangen wäre.
Soraya blitzt ihn schwarzäugig an und schwebt,
ganz große Dame, davon. Haj Garne, leicht ver-
stört, checkt schnell ab, ob die am Nachbartisch
auch nichts gemerkt haben, dann hastet er hinter
seiner Gefährtin her.
Soraya rauscht hochnäsig an mir vorbei, während
Haj Garne stehenbleibt, um Dine zu begrüßen, und
dann
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