Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Renault J-5 in Hafennähe aufgefunden wor-
den ist. Unbemannt. Ich nicke ihm dankend zu. Er
grüßt unbeholfen und zieht ab.
„Ewegh* [* Stößt in „Doppelweiß“ zu Llobs Team, Angehöriger des Volks der Tuareg] ist gar nicht da!“ bemerke ich.
„Der ist unten geblieben.“
„Und wieso?“
„Was weiß ich? Der ist aus Granit. In den schaut
keiner rein. Wenn du meine Meinung wissen
willst, die Art, wie sie dich verabschiedet haben, ist 97
ihm übel aufgestoßen. Er redet zwar nicht drüber,
aber seit er Wind von deiner Entlassung gekriegt
hat, ist er irgendwie seltsam.“
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Hadi Salem hat mich zu sich ins Büro bestellt. Ich
bin nicht gerade an die Decke gesprungen. Er ist
exakt von der Sorte, der man am frühen Morgen
gerne aus dem Wege geht, wenn man noch was
vom Tag haben will. Aber er kann sich rühmen, ein
dicker Freund von Slimane Houbel aus der Déléga-
tion zu sein. Er hat sein Sultanat am Ende der Rue
des Trois-Horloges installiert, im letzten Stock-
werk eines finsteren Gebäudes ganz in der Nähe
eines wimmelnden Souks. Da der Aufzug den Ho-
noratioren vorbehalten ist, nehme ich ohne zu mur-
ren die hundertzehn Stufen bis zum Schafott auf
mich.
Auf dem Gang stellt sich mir eine Art Gefäng-
niswärterin mit Hijab* [* Arabisch: „Schleier, Kopfbede-ckung“ – Das traditionelle Gewand der iranischen Frauen hat in den letzten Jahren durch die Islamisten als Ausdruck starker Religiosität auch Einzug in Algerien gehalten, wo es im Gegensatz zur Vielfalt der regionalen Trachten steht.]
und Brüsten groß wie Airbags in den Weg, kontrol-
liert meine Papiere und schiebt mich unsanft bis
zum Chef des Sekretariats vor sich her. Der ver-
staut, als er mich kommen sieht, flugs etwas in
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seiner Schublade. Erst als er merkt, daß mein ver-
schlissener Anzug nicht eben der Kleiderordnung
der hohen Tiere entspricht, kehrt wieder Frieden in sein Habichtsgesicht ein. Mit einem Fingerzeig
verabschiedet er meine Wärterin und weist mir
einen Platz auf einem Metallstuhl an, der speziell
für zufällig des Weges kommende Underdogs da-
steht.
„Sie haben sich verspätet, Monsieur Llob.“
„Wie die ganze Nation.“
Er findet meinen Vergleich nicht sehr komisch
und macht sich daran, in ein Heft zu kritzeln, um
mir weiszumachen, hier werde schwer geschuftet.
Ich greife nach meinen Zigaretten. Sofort zeigt er
auf ein Rauchverbotsschild. Ich füge mich und
verschiebe die Luftverschmutzung auf später.
Der gute Mann hört auf zu kritzeln und lehnt sich
zurück, um sein Geschreibsel in Augenschein zu
nehmen. Zufrieden beugt er sich wieder vor und
versenkt sich erneut in seine Hieroglyphen, wobei
er bei jedem Großbuchstaben die Zunge in den
Mundwinkel klemmt.
Allmählich wird mir die Zeit lang. Ich wende
meine Aufmerksamkeit den Möbeln zu. In der E-
cke ein Tresor, ein durchgesessenes Sofa neben
einer vorhanglosen Fenstertür, ein chinesischer
Aschenbecher auf einem Beistelltisch und an der
Wand – vermutlich ein Familienporträt –, ein ange-
staubtes Stilleben mit Birnenkorb.
„Hat Monsieur Salem Besuch?“
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Ohne den Kopf zu heben, deutet er mit der Blei-
stiftspitze auf die Wanduhr. Es ist dreizehn Uhr
dreißig.
„Ach, er ist noch nicht da?“
Sein Stift schwenkt herum und weist mich auf ein
rotes Lämpchen links über der Polstertür hin.
„Würd’s Ihnen was ausmachen, mir ein Licht
aufgehen zu lassen?“
„Es ist die Stunde des Dohr, Monsieur Llob.
Monsieur Salem verrichtet sein Gebet.“
Meine Zudringlichkeit hat seinen Inspirationsfluß
gehemmt. Er liest seinen Text, findet nicht mehr in den alten Schwung zurück, reißt das Blatt heraus,
zerknüllt es und befördert es in einen überraschend leeren Papierkorb.
Feindseliges Schweigen macht sich zwischen uns
breit. Zwei Minuten später fällt ihm seine Schubla-
de wieder ein, er holt eine Tasse Kaffee daraus
hervor, stellt sie vor sich hin und entdeckt eine
kleine Küchenschabe in der braunen Brühe. Gelas-
sen taucht er einen Finger zur Rettung des Tier-
chens hinein und schnipst es kraftvoll einmal quer
durch den Raum.
Das Licht wechselt von Rot auf Grün. Ohne die
geringste Eile an den Tag zu legen, drückt der Sek-
retär auf einen Knopf und kündigt mich an.
„Lassen Sie ihn herein.“
Hadi Salem sitzt im Schneidersitz auf seiner Ge-
betsmatte, ähnlich einem Frosch auf seinem see-
grünen Blatt. Er hat alles so inszeniert, daß ich ihn 100
mitten in
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