Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
nur ein
Scherz, aber der Direktor zog es vor, auf Nummer
Sicher zu gehen. Ewegh wollte ihn wirklich nur
festnehmen. Lebendig hätten wir einiges aus dem
rausgekriegt, kannst du dir ja denken … War halt
ein Unfall.“
Ewegh rührt sich noch immer nicht. Er über-
wacht den Parkplatz, sonst interessiert ihn nichts.
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Lino wechselt plötzlich den Ton: „Willst du mir
einen Gefallen tun, Kommy? Fahr zu Mina und
den Kindern nach Béjaïa, oder geh nach Igidher
zurück, oder laß von mir aus in Oran Gras über die
Sache wachsen, aber häng nicht weiter hier herum.
Ich bin überhaupt nicht beruhigt. Kein Mensch ist
beruhigt …“
Ich will ihm gerade zu verstehen geben, was ich
– ehrlich gestanden – von seinen Ratschlägen halte, da zerplatzt plötzlich die Fensterfront in Millionen von Splittern. Ein Sog erfaßt mich und schleudert
mich nach hinten. Um mich herum wildes Ge-
schrei. Ich habe Mühe zu begreifen, was passiert
ist. Ich liege am Boden, völlig entkräftet, zu
schlapp, den Tisch, der auf mir liegt, wegzuschie-
ben. Neben mir Lino, mit aufgerissenen Augen.
Ewegh, alle Viere in der Luft, versucht, sich unter dem Berg von Stühlen, in den es ihn verschlagen
hat, hochzurappeln.
Im Teesalon herrscht blankes Chaos. Wer nahe
der Eingangstür saß, ist unter Trümmern begraben.
Unter den gliedlosen Marionetten erkenne ich den
Kellner wieder. Er entdeckt soeben voll Entsetzen,
daß sein Arm keine Rückmeldung gibt. Er kann es
nicht fassen, ist leichenblaß, glaubt nicht, was er sieht. Eine Frau taumelt durch den Qualm, eine
Kreatur wie aus einem Gespensterfilm, die Arme
weit von sich gestreckt, das Gesicht von der Explo-
sion weggerissen.
„Wo ist meine Tasche?“ ruft ein Mädchen blut-
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überströmt und wühlt verzweifelt im Staub.
Den entstellten Mann vor ihrer Nase scheint sie
nicht wahrzunehmen, und auch nicht das verstüm-
melte Bein, aus dem sich das Blut über ihre Waden
ergießt.
„Eine Bombe! Eine Bombe!“ ruft jemand wie im
Delirium.
Ewegh steht als erster wieder auf, wirbelt eine
Staublawine hoch. Er schiebt den Tisch, der mich
fast erdrückt hat, zur Seite und hilft mir hoch. „Bist du okay?“
Abgesehen von den Glassplittern im Arm habe
ich nicht den Eindruck, verletzt zu sein.
Lino stöhnt. Sein Fuß ist gräßlich verrenkt. „Mir
tut mein Knöchel weh!“ ächzt er.
Ein Mann taucht aus dem Rauch auf, mit
schwärzlichem Gesicht, torkelt und bricht zusam-
men, der Rücken verkohlt. Eine Frau sitzt auf ei-
nem Stuhl, wundersamerweise unverletzt, blickt
sich nur immerzu um, begreift nicht. Hinter dem
Tresen züngelt eine Flamme empor, schlängelt sich
an einem Vorhang hinauf und hat im Nu die Decke
erreicht. Das Dach knistert, bricht auseinander und kracht mit Getöse zusammen.
Draußen ist der Teufel los. Schatten bewegen
sich, laufen ineinander, durcheinander, ein halluzinierendes Schauspiel. Ihre Schreie vereinen sich zu einer ohrenbetäubenden, irrwitzigen, alles mitrei-
ßenden Sturzflut.
„Wo ist mein Sohn?“ ruft flehentlich ein Vater,
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dem nur noch Fetzen am Leibe hängen, und klam-
mert sich an die Leute. „Eben war er noch da. Ge-
rade hier. Wo ist er?“
„Es ist nicht wahr, es ist nicht wahr!“ murmelt
unablässig kopfschüttelnd ein Greis. „Es ist nicht
wahr, es ist nicht wahr …“
Das Feuer greift auf den Parkplatz über, ver-
schlingt das erste Auto und beginnt, die anderen in einer surrealen kakophonen Geräuschkaskade explodieren zu lassen. Menschliche Fackeln schwan-
ken durch die Nacht, Irrlichtern gleich, und ihre
Bewegungen sind herzzerreißender als ihr Schrei-
en.
Innerhalb weniger Minuten hat sich der Belvédè-
re in einen Alptraum verwandelt, und die Hölle
erscheint mir gnädiger als das Fegefeuer, das hier
wütet.
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III
Vergeblich versucht sie
Auf einem Grashalm zu landen
Schwerfällige Libelle
Wandermönch Matsuo Bashô
(1644-1694)
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Zu sterben ist die größte Gemeinheit, die man sei-
nen Freunden antun kann.
Da Achour ist nicht mehr von dieser Welt.
Er hat für vier gegessen, hat seine Zwanzig-Uhr-
dreißig-Zigarette exakt um zwanzig Uhr dreißig
geraucht, es sich in seinem Schaukelstuhl bequem
gemacht, die Füße gegen die Balustrade gestützt,
mit einem kleinen Hüftschwung den Stuhl in Be-
wegung gesetzt, und sich dann, die Lichter eines
Frachters auf hoher See fest im Blick, still und lei-se rülpsend davongemacht.
Wäre ich in der Nähe
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