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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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gewesen, hätte ich sicher
    zwischen den Sternen den lieben Gott gesehen, der
    sich freut, ihn endlich unter den Seinen begrüßen
    zu können.
    Er war, wenn man so will, meine Familie. Hatte
    in seinem Blick den dämmernden Abglanz des
    Heimwehs bewahrt. War ein Hort der Weisheit,
    war mein Igidher, meine verlorenen Jahre. Gott hat
    mit ihm ein gutes Geschäft gemacht, und ich, ich
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    weiß nicht wohin.
    Schon beginnt das Meer sein Klagelied, sammelt
    sich die Stille, ist die Welt öde und leer.
    Da Achour war einer der Gerechten.
    Er wird mir ungeheuer fehlen.
    Er pflegte zu sagen: „Die Rassen, das sind nicht
    die Weißen, die Schwarzen, die Roten, die Gelben.
    Die Menschen wissen die Gaben der Natur nicht zu
    schätzen. Sie schauen mit Vorurteilen auf ihre Un-
    terschiede und nennen es Rassentrennung. Aber die
    Rassen, das sind nicht die Araber, die Juden, die
    Slawen, die Tutsis. Die Menschen ziehen keine
    Lehre aus der Zeit. Stattdessen teilen sie die
    Ethnien in Kampftruppen ein. Sie trennen die
    Menschheit in oben und unten auf, um ihre eigene
    Nichtigkeit zu überspielen, darüber hinwegzutäu-
    schen, wie ordinär sie selber sind … Wahre Rassen gibt es nur zwei: die Rasse der Aufrichtigen und
    die Rasse der Ruchlosen, die Ehrenwerten und die
    Ehrlosen. Seit Anbeginn der Zeiten stehen sie ein-
    ander gegenüber, bekämpfen sich gnadenlos, das
    ist das Gleichgewicht der Dinge. Sie waren schon
    immer da, lange vor dem ‚Licht’, lange vor dem
    ersten Prophetenwort, und sie werden alle Zivilisa-
    tionen überdauern. Seit wir auf der Welt sind, lehrt man uns die Zwietracht und führt uns auf Irrwege,
    fern der Wahrheit. Man lehrt uns den Haß auf alles
    Andere, alles Abwesende, alles Fremde: ein künst-
    licher, wohlfeiler, auf Abruf verfügbarer Haß. Und
    sieh nur, Brahim, sieh: Wer setzt heute unsere

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    Schulen in Brand, tötet unsere Brüder und Nach-
    barn, enthauptet unsere Gelehrten, überzieht unser
    junges Land mit Feuer und Blut? Sind es Außerir-
    dische, sind es Malaien, sind es Animisten, sind es Christen? Es sind Algerier, niemand sonst als Algerier, dieselben Algierer, die vor noch nicht allzu langer Zeit lauthals in den Stadien die National-hymne sangen, die in Scharen den Geschädigten zu
    Hilfe eilten, die sich von den Benefizveranstaltun-
    gen im Fernsehen mobilisieren ließen. Und sieh sie
    dir heute an. Erkennst du dich in ihnen wieder? Ich nicht im geringsten … Die Menschen meiner Rasse, Brahim, das sind all jene, die es rund um den
    Globus entschieden ablehnen, daß solchen Mons-
    tern Pardon gewährt wird.“
    Er war mein Allerheiligstes: Da Achour, er war
    der letzte Schutzpatron dieser Stadt.

    Wir haben ihn auf dem Friedhof von Igidher beige-
    setzt. Fünfzig Gräber vom Grab von Idir Naït-Wali
    entfernt. Alles frische Gräber, die sich wie braune Geschwülste aus der Erde wölben. Zweimal war
    der Stamm in der Zwischenzeit Opfer tragischer
    Vorfälle geworden. Erst hatte eine Gruppe Funda-
    mentalisten eine Polizeisperre an der Straße nach
    Sidi Lakhdar vorgetäuscht. Sie nahmen den Bus
    ohne Vorwarnung unter Beschuß. Das Fahrzeug
    fing Feuer, die Fahrgäste sind bei lebendigem Lei-
    be verbrannt. Etwas später wurden sieben Frauen
    und dreizehn Kinder aus der Nähe des Marabout* [*
    130
    Für den Maghreb typisches Kuppelgrab eines islamischen Heiligen] Sidi Méziane entführt. Zwei Tage später fand man sie in einer Lichtung auf, alle erdolcht.
    Mohand fragt, ob ich etwas zum Gedächtnis des
    Verstorbenen sagen wolle. Ich schüttle nur den
    Kopf.
    „Na schön. Dann werdet ihr jetzt mit dem Auto
    nach Imazighène gebracht. In einer knappen Stun-
    de treffen wir uns alle da unten wieder.“
    Ich bedanke mich bei ihm. Er sieht zu, daß er
    fortkommt, zu seinen bewaffneten Männern.
    Die Menge zerstreut sich schweigend. Greise
    humpeln auf Lieferwagen zu, andere zu ihren E-
    selskarren. Die Jüngeren laufen zu Fuß den steilen
    Hügel nach Imazighène hinunter.
    Arezki Naït-Wali sitzt selbstvergessen auf einem
    großen Stein vor dem frischen Grab. Sein naß-
    geschwitztes Hemd dampft in der Hitze. Er hat
    seine purpurrote Nase in ein Taschentuch gepreßt
    und wartet, daß ich ihn abholen komme.
    „Los, komm“, muntere ich ihn auf.
    Er schüttelt das Kinn und erhebt sich.
    Ich lege ihm den Arm um die Schultern und
    schiebe ihn vor mir her. „Wollen wir den Wagen
    nehmen?“
    „Ich gehe lieber zu Fuß.“
    „Ist aber ein ganzes Stück.“
    „Halb so schlimm, geht

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