Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
zu.
»Was werden Sie nun tun?«, fragte Zadira.
Hersant richtete ihren Blick wieder auf die Jesusfigur. »Jede Zerstörung ist auch der Beginn von etwas Neuem. Sowohl César als auch ich haben viel verloren. Mein Mann und ich, wir lassen uns scheiden.« Sie stockte, dann fuhr sie fort: »Vielleicht haben César und ich dadurch endlich Zeit für unser Leben.«
Zadira ließ den letzten Satz nachklingen und verstand, dass César und Victorine eine merkwürdige, grausame Liebe verband.
Die Totenglocke war verklungen. Die Trauergemeinde löste sich auf, das Knirschen der Schritte auf dem Kiesweg war bis in die Kapelle zu vernehmen. Dann leise Stimmen, Wagentüren, die zufielen.
»Sie sagten, dass Sie aus zwei Gründen hier sind. Was ist der andere?«
Victorine wandte sich ihr zu. »Ich will mit Ihnen reden.«
»Ich hatte bisher den Eindruck, dass Sie genau das vermeiden wollten.«
Hersant runzelte verärgert die Stirn, als ob ihr Zadiras Sarkasmus an diesem Ort unpassend erschien.
»Ich weiß, dass Sie es nicht verstehen werden, aber ich habe Julie gemocht. Wirklich gemocht. Und ich will, dass Sie ihren Mörder finden.«
Und damit den Mann, der euch verfolgt. Wie praktisch.
»Ihr Aufwand wäre auch …«, Victorine Hersant biss sich auf die Unterlippe, dann fuhr sie fort: »… verhandelbar.«
»Verhandelbar?«
Als Victorine nickte, verstand Zadira: Gib uns den Mörder, dann geben wir dir deine Polizistenkarriere in Marseille zurück. So lief das wohl in der feinen Gesellschaft. Für jeden Gefallen einen Gegengefallen, bis man unauflösbar verstrickt war in gegenseitiger Abhängigkeit.
»Madame Hersant«, fasste Zadira nach, »sagt Ihnen der Name Mattia Bertani etwas?«
»Mattia Bertani«, fragte Victorine irritiert, »nein, wer ist das?«
»Élaines Verlobter.«
Victorine wich zurück, dann stützte sie sich auf dem weißen, groben Steinaltar ab. »Élaine war unsere Sünde«, flüsterte sie dann fast tonlos.
»Tja, und sie sah Julie auffällig ähnlich, finden Sie nicht? Und nun ist Julie auch tot. Zwei junge Mädchen, die starben, weil Sie sie – wie sagte Monsieur Alexandre? – zur Freiheit führen wollten.«
Victorine schlug sich die Hände vors Gesicht. Draußen flogen kreischend Raben auf. Dann richtete sie sich auf, war wieder ganz die Grande Dame.
»Finden Sie ihn!«, forderte sie aufgebracht.
»Oh, das werde ich«, sagte Zadira gelassen. »Aber nicht wegen Ihnen oder weil Sie mit mir verhandeln wollen. Solche Verhandlungen kenne ich. Die macs in Marseille und die Drogenbosse sind mir mit den gleichen Vorschlägen gekommen. Geld, Karriere, Macht. Nein danke.« Zadira trat ganz dicht an Victorine heran. »Ich werde ihn finden, weil ich es Julie versprochen habe«, sagte sie.
Victorines Gesicht war wieder zu der Maske geworden, mit der sie den Friedhof betreten hatte.
»Ich verstehe«, sagte sie kühl. »Sie brauchen also sonst nichts von uns?«
»Nicht ganz«, antwortete Zadira und streckte die Hand aus. »Ich brauche den Schlüssel zu Haus Nummer 9. Offiziell bin ich nicht mehr mit dem Fall befasst. Aber ich muss noch einmal ins Haus.«
Wenn du dich verlaufen hast, gehe zurück an den Tatort.
Victorine holte ein Schlüsselbund aus ihrer schwarzen Chanel-Tasche.
»Ich habe Sie verabscheut, Lieutenant«, sagte sie. »Weil Sie uns bloßgestellt und unsere Freundschaft zerbrochen haben.«
Sie sah zum Eingang der Kapelle. Die Trauergäste waren mit Sicherheit längst verschwunden. Nur César Alexandre würde noch immer unter der Pappel stehen. »Aber jetzt«, fuhr sie leise fort, »sind wir freier als je zuvor.«
Mit diesen Worten gab Victorine Hersant Zadira den Schlüssel.
36
D amit, dass fast sämtliche Einwohner die Innenstadt verlassen würden, hatte Commissaire Mazan natürlich nicht rechnen können.
Wohl hatte er mitbekommen, dass Zadira und Jules zu der Beerdigung von Julie wollten, aber als er von seinen Spähern immer hektischer Meldung erhielt, fast ganz Mazan mache sich in schwarzer Kleidung zum Friedhof auf, begriff er, dass ihr Beobachtungssystem aus den Fugen geriet.
Es war schon ein Wunder gewesen, dass er, Rocky und Louise diese chaotische Katzengemeinde dazu gebracht hatten, ein paar Menschen gezielt zu überwachen. Jetzt aber, da die Zielobjekte dieser Überwachung jenseits der viel befahrenen, für die meisten Katzen schier unüberwindlichen Hauptstraße verschwunden waren, fiel seinen Artgenossen schlagartig ein, was es sonst noch zu tun gab: fressen, schlafen,
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