Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Hand nach ihm ausstreckte, warf der Schwarze sich jedoch herum, rannte, Schatten um Schatten nutzend, über den Kirchplatz davon und verschwand.
»Ich schulde dir was, Kollege!«, rief sie ihm nach. »Und du?«, fragte Zadira dann den kleinen Kater, der sich auf ihre Hemdknopfleiste stürzte und daran herumnagte. »Erzähl mal. Wo hast du dich herumgetrieben?« Sie stutzte, schnüffelte an ihm. An dem tonlosen Glöckchen. War da etwa Hasch drin?
»Ach, Victor …«, seufzte sie.
Die weinende Madame Roche fiel Zadira wenig später um den Hals. »Aber wo haben Sie Tin-Tin denn bloß entdeckt?«
»Mein Kollege, Commissaire Mazan vom Polizeikatzenaußendienst, hat mir den Vermissten überstellt, nachdem ich ihn zur Fahndung ausgerufen hatte.«
Madame Roche blinzelte irritiert gegen den Tränenfluss in ihren Augen an und erwiderte: »Also, Sie sind ja eine Geschichtenerzählerin.«
Eine Viertelstunde später fuhr Zadira auf der D942 in Richtung Carpentras. Immer wieder erblickte sie den Auzon zu ihrer Linken. Der Fluss besaß fünf Wasserfälle auf seinem Weg den Mont Ventoux hinab, das hatte ihr der Engländer Jeffrey Spencer erklärt, als sie ihn in Lisabelles Zeitungs- und Tabakladen neben dem Pizzaimbiss getroffen hatte.
Nach vier Kilometern bog Zadira ab. Sie parkte auf einem Bauernweg unter einer Pappel. Hinter einer Wiese und einer Reihe dichter Bäume zeigte sich der Fluss als ein fast drei Meter hoher Wasserfall, der im Laufe einiger Menschenalter ein tiefes Becken ausgehöhlt hatte.
Zadira schlenderte zum niedrigen Ufer. Dort zog sie sich bis auf den Slip aus. Sie nahm das Magazin aus ihrer Pistole und versteckte die ungeladene Waffe zwischen der Cargohose und dem Oberhemd. Die Munitionslade deponierte sie in einer Astgabel. Nach einem prüfenden Blick in alle Richtungen streifte sie auch den Tanga ab und hängte ihn in den Baum.
Völlig nackt watete Zadira in den Fluss, in der einen Hand den Joint, in der anderen das Wegwerffeuerzeug.
»Ahhh«, seufzte sie wohlig. Das Wasser tat so gut! Es war kühl, frisch und klar. Sie spürte glatte Steine und nachgiebigen Untergrund unter den Fußsohlen. Schlamm presste sich weich durch ihre Zehen hindurch. Ein Schauder überzog sie, als sie das Fallbecken erreichte und ihr das kühle Wasser auf einmal bis über den Steiß schwappte.
In der Mitte des Beckens nahe des Wasserfalles zündete Zadira den Stick an und warf das Feuerzeug ans Ufer. Dann ließ sie sich bis zum Hals ins Wasser gleiten, schloss die Augen und zog an dem Joint.
»Kiffen ist nicht rauchen«, murmelte sie.
So betrügen sich die Junkies auf der ganzen Welt.
Zadira stützte sich mit der Hand auf einem Felsen ab, der aus dem Wasser ragte, und streckte sich aus. Sie stieß den Rauch die Kehle empor, wölbte die Zungenspitze nach unten und formte beim Ausatmen perfekte Ringe. Bald war das süßlich-herbe Dope in ihrem Kopf angekommen. Und vertrieb dort endlich die grausamen Bilder der Gefesselten von Aubignan.
»I shot the sheriff, but I didn’t shoot no deputy«, sang Zadira leise.
Wenn sie den Kopf nach hinten beugte, so dass die Ohren unter Wasser waren, kam es ihr fast vor, als treibe sie im Meer. Zadira hörte Wellen in ihren Ohren rauschen, spürte ihr langes Haar im Wasser schweben, schloss die Augen.
»Sheriff John Brown always hated me, for what, I don’t know.«
Mehr Rauchringe. Das Wasser füllte ihre Ohren.
»He said, kill it before it grows. He said, kill them before they grow.«
Ja, bring sie um, bevor sie zu groß werden. Töte die Liebe, bevor sie stärker wird als du.
Bis eben hatte Atos ihn genervt. Genau genommen tat er das, seitdem sie hinter Orange die Autobahn verlassen hatten. Atos’ Hecheln war zu einem Winseln geworden, und der riesige bretonische Vorstehhund hatte sich auf dem Rücksitz von Jules’ altem 911er immer wieder um sich selbst gedreht.
»Ich muss mal«, bedeutete Atos’ Verhalten, »dringend! Oder ich pinkle dir deine Angeber-Schüssel voll!«
Also war Jules kurz vor seinem Ziel entnervt rechts in einen Waldweg abgebogen, um seinen Gefährten von der Leine zu lassen.
Und mitten in einem Gemälde gelandet.
Jules Parceval würde diesen Anblick niemals vergessen. Vor seinen Augen tat sich die Sinnlichkeit eines lasziven Aktes in einem impressionistischen Landschaftsgemälde auf. Nur der Joint passte nicht ganz ins Bild.
Die Frau trieb mit geschlossenen Augen unter einem Wasserfall dahin und sang dazu. Zwischendrin blies sie Rauchringe in die
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