Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
nicht überraschend kommen, dass sich gelegentlich auch Monsieur Lagadère oder Monsieur Amaury an dich wenden werden.«
Julies Glücksgefühl wich einem jähen Schreck. Lagadère war ein Mann, der ihr Angst einflößte. Notar Amaury hingegen – nun, sie hatte den kleinen freundlichen Mann nie sonderlich ernst genommen.
»Ich kann dich aber beruhigen«, fuhr Madame Hersant nun fort, »mein lieber Amaury hält nichts von Geschlechtsverkehr, aber dafür viel von der edlen Kunst der ligotage. Hat ein Mann das schon einmal mit dir gemacht?«
Julie schüttelte verwirrt den Kopf. Was das wohl war?
»Ich kann dir sagen, wenn es gut gemacht wird, ist die Lust mehr auf deiner als auf seiner Seite. Und Philippe Amaury ist über die Jahre hinweg ein Meister der ligotage geworden, der Kunst des erotischen Fesselns. Er ist hart und zärtlich. Wenn du mich fragst, genau die richtige Mischung.«
»Und … der Richter?«
»Alexis … ist ein Mann mit viel Leidenschaft, die er im Alltag stets unterdrücken muss. Gib ihm eine Chance, Julie. Kein anderer vermag so sehr deine Kräfte und Stärken zu wecken wie er. Vielleicht kann er dir helfen, auch über deine Grenzen hinwegzugehen. Und vergiss nie: Er ist Richter, das heißt, dass er immer gerecht ist.«
Victorine legte lächelnd ihre Hand auf die Julies. Tausend Gefühle und Gedanken wirbelten in dem Mädchen durcheinander. Ihr war natürlich klar, dass ein solches Angebot seinen Preis hatte. Doch selbst, wenn es sie nicht besonders reizte, mit dem Notar oder dem furchteinflößenden Richter zu schlafen, so würde das ganz sicher nicht schlimmer sein als ihre Erlebnisse mit Gustave oder den betrunkenen Amerikanern. Zudem war da noch Monsieur Alexandre …
»Aber …«, begann sie zögerlich, »sie werden doch nichts von mir verlangen, was …?«
»Meine Liebe, Ästhetik und Gefühl stehen bei uns ganz oben. Keine unappetitlichen Aktivitäten.«
In Julies Kopf tanzten die Bilder einen wilden Reigen. Reisen! Saint-Tropez! Monsieur Alexandre! Paris! Teure Hotels, und sie, als Managerin. Die Gespräche mit Madame, unendlich viele Gespräche, die sie als Schwestern führen würden. Als Vertraute.
Könnte all das wirklich wahr werden?
»Das Leben wartet auf dich, Julie. Und zwar genau bis Dienstagabend. Da hast du frei, wie ich weiß. Wenn du unser Angebot ernsthaft überdacht hast und annehmen willst, dann sei unser Gast. Wir erwarten dich im Haus Nummer 9 in der Rue de l’Ancien Hôpital. Wenn du nicht kommst, werden wir das als ein Nein verstehen und respektieren.«
Julie dachte an Gustave. An Dédé. An die zweihundertfünfundvierzig Euro Monatslohn. An die trostlose Ewigkeit, die sie erwartete, wenn sie hier in Mazan blieb. Kurz dachte sie an ihre einzige Freundin Manon.
Aber es würde eine zweite Manon geben, die sie in der Pariser bel étage mit frischem Schottlandlachs füttern könnte. Julie wusste, dass dies die Stunde null ihres neuen Lebens war.
»Madame, ich muss nicht überlegen, ich …«
»Schh, mein Kätzchen.« Victorine legte ihr die manikürten Finger auf die Lippen. Eine liebevolle Geste. »Lass dir Zeit. Denk gut darüber nach, auch wenn du dir jetzt schon sicher zu sein glaubst. Überlege es dir, und erst wenn du es mit jeder Faser deines Herzens willst, dann nehmen wir dich unter unseren Schutz.« Victorine lächelte. »Ich habe gehört, dass du eine connaisseuse schöner Dinge bist. Parfüm beispielsweise? Komm!«
Julie folgte Madame Hersant ein wenig schuldbewusst ins Bad. Monsieur Alexandre hatte wohl doch bemerkt, dass sie sein Eau de Toilette benutzt hatte. Madame suchte in einem exklusiven Chanel-Köfferchen und förderte nach und nach wahre Schätze zutage. Ein Chanel-Parfüm, Rouge-Noir-Nagellack, edles Haarpflegemittel und ein Dutzend weiterer Großartigkeiten.
Während Madame ihr alles überreichte, sagte sie: »Ganz gleich, wie du dich entscheidest, behalte diese Andenken als Zeichen meiner Zuneigung. Ich würde dir gern mehr geben, aber ich weiß, es kommt dir nicht auf Geld oder Statussymbole an. Sondern darauf, endlich zu zeigen, wer du wirklich bist.«
Julie fühlte sich das erste Mal in ihrem Leben wirklich und zutiefst verstanden.
11
D ie Wohnung gefällt mir sehr gut, Madame Blanche.«
»Ah, das freut mich sehr, Monsieur Parceval. Sie haben aber auch Glück, ich habe gerade alles renovieren lassen. Und schauen Sie nur«, Madame Blanche führte Jules Parceval zum Küchenfenster, »von hier aus haben Sie einen sehr schönen
Weitere Kostenlose Bücher