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Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Titel: Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Bagnol
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komplizierten Konstrukts, Zadira. Jeder spielt für Dutzende von Menschen bestimmte, unterschiedliche Rollen. Eine Tochter ist auch Geliebte, Rivalin und Mutter, und damit für vier Menschen jeweils eine andere Frau. Niemand ist nur eine einzige Person. Auch du nicht. Du bist die Exotin, die Männer begehren. Polizistin. Und eine halbe pied-noir. Du wirst nie nur du sein. Du bist eine variable Realität. Jeder ist das.«
    Das hatte Zadiras Ausbilder Nicolas ihr beigebracht, als sie zweiundzwanzig gewesen war, gleich im ersten Jahr nach ihrer Ausbildung, während sie Rechtswissenschaften studierte und sich das erste Mal um die Offizierslaufbahn bewarb.
    Nur wenn ein Ermittler es schaffte, alle Rollen zu rekonstruieren, die ein Opfer gespielt hatte – für seine Familienmitglieder, für Kollegen, für sein Dorf –, konnte er mögliche Motive erkennen. Meist hatten sie damit zu tun, dass jemand aus der ihm zugewiesenen Rolle ausgebrochen war.
    »Menschen nehmen anderen Menschen übel, wenn sie sich verändern.«
    Julie. Ein Hausmädchen. Sie konnte die Königin für jemanden sein, der Fußabtreter für jemand anderen.
    Zadira sprang die Stufen zum Foyer des Châteaus hinauf. Die rote Eingangstür war weit geöffnet.
    »Bonjour, was kann ich für Sie tun?«, fragte der Rezeptionist, ein großer, gut frisierter Mann in einem blauen Kurzarmhemd. Es lag eine leichte Arroganz in seinem Tonfall.
    »Vielleicht fragen Sie besser, was ich für Sie tun kann, Monsieur …« Sie nahm die Sonnenbrille ab und las sein Namensschild am Kurzarmhemd. »Monsieur Paul. Police Nationale, Lieutenant Matéo.«
    Sie genoss es, zu sehen, wie der Rezeptionist sich verspannte. Es war doch immer wieder erstaunlich, wie leicht sich Vorurteile und ansonsten gut versteckte Dünkel in die Beurteilung eines Menschen einschlichen. Allein aufgrund seiner Kleidung. Und was passierte, sobald man diese enttarnte.
    Während sie ihm ihre Ausweiskarte hinhielt, nahm Zadira Pauls Mimik und Körperspannung wahr. Und fand zu ihrer Überraschung: ein gewaltig schlechtes Gewissen. Sorge. Den tiefen Wunsch, in den Augen des Gesetzes gut dazustehen. Selbst wenn diese Augen exotisch aussahen … Paul, hast du etwa was angestellt, das über falsch Parken hinausgeht?
    »Eine der Hotelangestellten heißt Julie?«
    »Ja. Julie Roscoff, unsere Aushilfe. Aber sie hat heute frei.«
    »Ist das Julie Roscoff?«
    Sie reichte ihm einen Fotoausdruck, der Julies Gesicht zeigte.
    Paul fasste sich an den Mund. Unter seiner gepflegten Bräune wurde er blass. Dann nickte er.
    »Ja. Das ist Julie«, sagte er leise. »Mein Gott. Was ist ihr bloß geschehen? Ist sie …«
    Paul streichelte die Konturen von Julies Antlitz auf dem Foto.
    »Monsieur Paul«, sagte Zadira, »wer wohnt in dem Haus in der Rue de l’Ancien Hôpital Nummer 9? Wissen Sie das zufällig?«
    »Wo, Nummer 9? Ich bin mir nicht sicher, welches das ist«, sagte er abwesend. Immer noch fixierte er das Bild.
    »Rote Fensterläden, Eckhaus, kleiner Garten.«
    »Ach, das. Steht das nicht leer?«
    »Julie Roscoff ist tot. Sie wurde ermordet. Auf eine denkbar grausame, sadistische und demütigende Weise. Im Haus Nummer 9. Und es wäre wirklich wichtig zu erfahren, wer dort lebt.«
    Paul antwortete nicht. Dann, mit hoher Stimme, wie von weit her:
    »Aber warum ist sie denn auf einmal tot?«
    Er sah erschüttert aus, als ob die Bedeutung von Zadiras Worten erst jetzt auf dem Grund seiner Seele angekommen wäre.
    »Sie wollte doch nur spazieren gehen. Nur spazieren!«
    »Wann denn? Wann haben Sie Julie zuletzt gesehen?«
    »Gestern.« Seine Stimme rutschte noch höher. »Sie wollte doch nur spazieren gehen …«
    »Setzen Sie sich, Paul. Und erzählen Sie mir einfach.«
    Er gehorchte wie in Trance. Blicklos starrte er vor sich hin.
    »Was denn?«, fragte er mit wackeliger Stimme.
    »Alles. Wo Sie gestern Abend waren.«
    »Ich wollte Julie noch Walzer beibringen«, begann er stockend. »Nicht … nicht gestern. Aber bald. Das kleine Feuerköpfchen wusste ja nichts von der Welt. Kaum Bildung, aber was will man erwarten. Ist mit sechzehn von der Schule, um für sich selbst zu sorgen. Mit sechzehn! Keine Eltern mehr, ganz allein. Zum Glück hat Monsieur Ugo, unser Manager, sich vor einem halben Jahr ihrer angenommen und …«
    Paul redete wie ein Roboter, immer schneller.
    Julie Roscoff, neunzehn Jahre. Reinigen, Servieren, Empfang, sie hatte im ganzen Hotel zu tun gehabt, außer in der Küche und in der Geschäftsleitung. Hatte

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